Archiv der Kategorie: Statistik

Sex mit vielen Frauen schützt vor Prostatakrebs

StimmtHaltNicht – Schläft Mann mit mehr als 20 Frauen, betreibt er Prostatakrebs-Vorsorge. So oder ähnlich lauteten in der vergangenen Woche die medialen Reaktionen auf eine kanadische Studie (Beispiele gibt es etwa hier oder hier). Wie die Studienergebnisse zustande kamen und dass deren Interpretation von Experten durchaus kritisch gesehen wird, darüber wurde jedoch kaum berichtet.

Die Studie: Prostatakrebs und Sex mit Frauen

Die kanadischen Wissenschaftler von der Universität Montreal hatten rund 1600 Prostatakrebs-Patienten nach ihrem Sexualverhalten gefragt und diese Erkenntnisse mit den Daten einer ähnlichen Gruppe gesunder Männer verglichen. Die Forscher setzten die Angaben besonders kontaktfreudiger und eher verklemmter Männer miteinander in Verbindung. Demnach hatten Männer, die mehr als 20 Sexpartnerinnen in ihrem Leben hatten, ein geringeres Risiko für Prostatakrebs als solche, die nur auf eine Partnerin kamen (für die meisten Männer, die zwei bis 20 Partnerinnen haben, sind diese Studienergebnisse demnach irrelevant).

Die mediale Berichterstattung über diese Studienergebnisse erweckt jedoch zum Teil den Anschein, dass es zwischen der Anzahl der Sexualpartnerinnen und einer Prostatakrebserkrankung einen Ursachen-Wirkung-Zusammenhang gibt. Diesen Schluss lässt die Studienform jedoch nicht zu.

Kritik am Studiendesign

Kritik am Studiendesign übt beispielsweise Dr. Mieke Van Hemelrijck vom King’s College London. Die Expertin für Krebsepidemiologie sagte dem Guardian: “Sexual activity was assessed with an interview. So we can’t be sure that men with prostate cancer didn’t reply in a different way to men without prostate cancer.” Und auch die Ergebnisse ließen keinen klaren Rückschluss auf einen kausalen Zusammenhang zwischen vielen Sexualpartnerinnen und Prostatakrebs zu. Es sei beispielsweise möglich, dass Männer, die nach sexueller Vielfalt suchen, im Alltag mehr auf sich achten und gesünder leben. Männer, die ihr Leben lang einer oder wenigen Partnerinnen treu bleiben, neigen laut Van Hemelrijck auch eher dazu, zum Proststakrebs-Screening zu gehen. Ihr Krebs wird dann auch häufiger erkannt.

Risikofaktoren für Prostatakrebs nicht bekannt

Die sexuelle Aktivität gilt laut Krebisinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums in Zusammenhang mit Prostatakrebs übrigens als widerlegtes Risiko (Stand 27.02.2014). Was genau den Krebs verursacht, weiß man heute (noch) nicht. Neben genetischen Veranlagungen vermutet man etwa auch im Lebensstil einen Risikofaktor für das Prostatakarzinom.

Quellen:

Andrea R. Spence, Marie-Claude Rousseau, Marie-Élise Parente. Sexual partners, sexually transmitted infections, and prostate cancer risk. Published Online: September 29, 2014 DOI: http://dx.doi.org/10.1016/j.canep.2014.09.005

The Guardian, Does sex with more than 20 women really protect against prostate cancer?, http://www.theguardian.com/society/shortcuts/2014/oct/29/does-sex-protect-against-prostate-cancer

Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums, Prostatakrebs: Risikofaktoren und Vorbeugung, http://www.krebsinformationsdienst.de/tumorarten/prostatakrebs/risikofaktoren.php

Zentrum für Krebsregisterdaten, Krebs in Deutschland, http://www.rki.de/Krebs/DE/Content/Publikationen/Krebs_in_Deutschland/krebs_in_deutschland_node.html

„Herr König wird eher befördert als Herr Bauer“

StimmtHaltNicht – Es klang zu skurril, um wahr zu sein: Menschen mit majestätischen Nachnamen wie Kaiser, König und Fürst sind angeblich überdurchschnittlich erfolgreich im Beruf. Karrieretechnisch hängen sie ihre Kollegen Bauer, Becker und Koch oft ab. Das zumindest stand in einer Untersuchung, die Raphael Silberzahn und Eric Luis Uhlmann im vergangenen Herbst im Fachblatt Psychological Science veröffentlichten.

Über die Studie berichteten damals zum Beispiel die Süddeutsche Zeitung und, mit leisem Zweifel, der Scienceblogger Jürgen Schönstein. Silberzahn und Uhlmann hatten auch eine Hypothese, warum es sich lohnt, pseudo-adelig zu sein: Vom edlen Klang werde auf einen ebenso edlen Charakter geschlossen.

Die Wissenschaftler werteten die Daten von mehr als 220.000 Mitgliedern des Karrierenetzwerks Xing aus. Und siehe da: Tatsächlich fanden sich unter den Menschen namens Kaiser, König oder Fürst vergleichsweise viele Führungskräfte – was für einen Zusammenhang zwischen dem Nachnamen und beruflichem Erfolg spricht.

Jetzt allerdings rudern Silberzahn und Uhlmann zurück. Mit Unterstützung von Uri Simonsohn haben sie ihre Daten noch einmal ausgewertet. Ihre neue Schlussfolgerung: Es stimmte halt nicht. Ein nobler Name ist wohl doch kein Karriereturbo.

Die neue Auswertung

Ursprünglich hatten Silberzahn und Uhlmann eine Auswahl von edlen Namen mit 100 in Deutschland besonders weit verbreiteten Namen verglichen. Im Nachhinein stellte sich dieses Vorgehen als problematisch heraus. Unter anderem bemerkten die Wissenschaftler bei ihrer Neuauswertung, dass in den Xing-Daten der Anteil von Führungspositionen unter den Trägern seltener Namen generell übertrieben war.

Nachdem sie dieses Problem erkannt hatten, kamen die Forscher auf eine gute Idee: Sie verglichen nun Namen, die in Deutschland ähnlich häufig sind. Einen Herrn Baron trifft man beispielsweise ähnlich oft wie einen Herrn Färber oder einen Herrn Gerner.

Die neue Analyse zeigte: Unter den Kaisern in den Daten hatten 12,2 Prozent eine leitende Position inne. Bei Personen mit ähnlich häufigen Kontrollnamen waren es 13 Prozent. Der berufliche Erfolg war also nahezu gleich. Dieses Muster wiederholte sich auch bei anderen Namen. Insgesamt fanden die Forscher keine Vorteile für die Träger edler Namen.

Ob jemand Herr Kaiser oder Herr Bauer heißt, beeinflusst deshalb wohl nicht seine Karriere.

Quellen:
Raphael Silberzahn, Eric Luis Uhlmann (2013). It Pays to Be Herr Kaiser. Psychological Science, 24/12, 2437-2444. DOI: 10.1177/0956797613494851 (Link)
Raphael Silberzahn, Uri Simonsohn, Eric Luis Uhlmann (2014). Matched-Names Analysis Reveals No Evidence of Name-Meaning Effects. Psychological Science, online. DOI: 10.1177/0956797614533802 (Link)

„Massive Handynutzung kann zu Hirntumoren führen“

StimmtHaltNicht – Zwei Dinge sind weit verbreitet: Mobiltelefone und die Angst vor Krebs. Finden Wissenschaftler einen Zusammenhang zwischen Handynutzung und Tumorrisiko, ist das für Journalisten fast immer ein Thema. Denn davon ist jeder Leser betroffen.

Entsprechend macht derzeit eine Studie aus Frankreich die Runde. Auf faz.net heißt es: „Massive Handynutzung kann zu Hirntumoren führen„, welt.de fragt: „Steigt das Hirntumor-Risiko durch Handystrahlung?„. Die Antwort folgt prompt: „Handys sind womöglich doch gesundheitsschädlicher als gedacht: Wer mehr als 15 Stunden pro Monat mit dem Handy telefoniert, hat ein erhöhtes Risiko, bestimmte Gehirntumore zu entwickeln.“

Doch worum geht es genau? Forscher um Gaëlle Coureau haben berechnet, welchen Einfluss die Handynutzung auf das Krebsrisiko hat. Menschen, die ihr Mobiltelefon mehr als 15 Stunden pro Monat über fünf Jahre hinweg ans Ohr halten, haben demnach ein zwei- bis dreifach höheres Risiko, einen Hirntumor zu entwickeln. Die französischen Wissenschaftler haben bösartige Gliome und (meist) gutartige Meningeome untersucht.

An dieser Studie gibt es einiges zu kritisieren – etwa, dass die Handynutzung im Nachhinein bei Krebspatienten und bei Gesunden abgefragt wurde. Dabei können leicht verzerrte Erinnerungen auftreten.

Wir haben uns aber etwas anderes gefragt: Was bedeutet denn ein zwei- bis dreifach höheres Risiko in diesem Fall? Die Antwort: Relativ wenig. Denn Hirntumore sind verhältnismäßig selten. Das Robert-Koch-Institut gibt an, dass 6920 Männer und Frauen im Jahr 2010 an Tumoren des zentralen Nervensystems erkrankten. Darin sind die bösartigen Gliome schon enthalten.

Statistisch erkrankt einer von 130 Menschen im Laufe seines Lebens an einer solchen Krebserkrankung des zentralen Nervensystems. Wenn man das also ganz grob und ohne Anspruch auf letzte Genauigkeit überschlägt – dann bedeuten diese Befunde: Von 130 Hardcore-Handynutzern erkranken 2 oder 3 im Laufe ihres Lebens an einem Hirntumor. 127 oder 128 bleiben aber trotzdem gesund.

Uns hat in der Berichterstattung eine solche Einordnung der Risiken gefehlt.

Nachtrag, 22. Mai 2014: Hanna Drimalla berichtet auf dasGehirn.info ebenfalls über Mobilfunk und Krebsrisiko. Zum ausführlichen Beitrag geht es hier.

Quellen:
www.faz.net (15. Mai 2014). Massive Handynutzung kann zu Hirntumoren führen (Link)
www.welt.de (15.Mai 2014). Steigt das Hirntumorrisiko durch Handystrahlung? (Link)
Robert-Koch-Institut/Gesellschaft der epidemiologischen Krebsregister in Deutschland (2013). Krebs in Deutschland 2009/2010, Seiten 104-107 (PDF)

„Vegetarier kranker als Fleischesser“

StimmtHaltNicht – Es gibt viele Gründe, sich fleischlos zu ernähren. Manche verzichten auf Burger, Döner und Schnitzel, weil ihnen Tiere leid tun. Andere beißen lieber in die Tofuwurst statt in die Bratwurst, weil sie hoffen, das sei gesünder.

Letztere Annahme stellt nun die Bild-Zeitung infrage. Die Journalisten schreiben: „Vegetarier haben häufiger Krebs und mehr Herzinfarkte, leiden wesentlich öfter an Allergien und zeigen mehr psychische Störungen als Viel-Fleischesser.“

Diese Aussage geht auf eine Studie von österreichischen Wissenschaftlern um Nathalie Burkert von der Universität Graz zurück.

Doch bevor jetzt alle Vegetarier ihre Ernährung überdenken, haben wir uns die Untersuchung genauer angeschaut.
Erst einmal verschweigt auch die Bild-Zeitung nicht, dass die Befunde der österreichischen Wissenschaftler keinen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang beschreiben. Ob fleischlose Kost tatsächlich krank macht, oder ob gesundheitlich angeschlagene Menschen sich vergleichsweise häufig vegetarisch ernähren – diese Frage können Burkert und Kollegen nicht beantworten.

Der Grund dafür ist das gewählte Forschungsdesign. Die Wissenschaftler werteten einen zwischen 2006 bis 2007 erhobenen Querschnitt aus 1320 Österreichern aus. Wenn jemand allerdings nur einmal befragt wird, lässt sich daraus eben keine Entwicklung ableiten. Die Daten bilden nur den Ist-Zustand zum Zeitpunkt der Erhebung ab.

Wie gesagt: Die Forscher behaupten nicht, dass vegetarische Ernährung für Krebs und andere Krankheiten verantwortlich ist. Warum man das in diese Untersuchung auf keinen Fall hineindeuten sollte, zeigt ein anderes Ergebnis der Auswertung. Demnach tranken die 330 Vegetarier am wenigsten Alkohol und waren auch von allen vier untersuchten Gruppen am dünnsten. Würde man bei der Untersuchung einen kausalen Zusammenhang unterstellen, müsste man damit auch sagen: Dick sein und saufen ist gesund.

In den Kommentarspalten der Fachzeitschrift Plos One wird die Studie von Burkert und Kollegen im Übrigen kritisch diskutiert. Ein Vorwurf lautet, dass eine frühere Analyse derselben Daten zu entgegengesetzen Ergebnissen kam. Burkerts Antwort: Die neue Auswertung sei genauer als die alte. Da die Gruppe der Vegetarier verhältnismäßig klein und bunt gemischt war, sei es sinnvoll gewesen, jedem einzelnen Fleischverzichter jeweils Fleischesser exakt desselben Alters und Einkommens gegenüberzustellen.

Quellen:
Bild.de (27. Februar 2014). Vegetarier kranker als Fleischesser. (Link)
Pressemitteilung der medizinischen Universität Graz (2014). Ausgewogene Mischkost bringt höchste Lebensqualität. (Link)
Nathalie T. Burkert et al. (2014). Nutrition and Health – The Association between Eating Behavior and Various Health Parameters: A Matched Sample Study. Plos One. DOI: 10.1371/journal.pone.0088278 (Volltext)
Krebsinformationsdienst (2007). Ernährung und Krebs (Link)

„Gefahren von Cannabis werden unterschätzt“

StimmtHaltNicht – Ob die Gefahren des Kiffens tatsächlich unterschätzt werden, wissen wir nicht. Was wir allerdings wissen: Welt.de bietet eine unvollständige Statistik zum Thema an.
Demnach haben etwa „sieben Prozent der Patienten“ einer Suchtklinik eine „Cannabis-bezogene Störung“. Was, so liest es sich im Kontext, zeigen soll, wie groß die Risiken des Marihuanakonsums sind. Das Zitat stammt von Christian Vollmert, Oberarzt am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim.

Eine weitere Einordnung dieser Zahl folgt in der Meldung aber nicht. Das ist schade, denn so lässt sich mit dieser statistischen Aussage wenig anfangen.

Joint vor dem Anzünden. Quelle: Erik Fenderson/Wikipedia

Joint vor dem Anzünden. Quelle: Erik Fenderson/Wikipedia

Um diese Angabe bewerten zu können, müsste der Leser wissen: Wie viele Menschen im Einzugsgebiet nehmen Drogen – und wie vielen von ihnen geht es danach so schlecht, dass sie Hilfe bedürfen? Dann könnte man zum Beispiel beurteilen, ob Biertrinker häufiger oder seltener in der Klinik um Unterstützung bitten als Jointraucher.

Um eine Antwort auf die eingangs gestellte Frage zu erhalten, wäre es natürlich auch spannend, eine aussagekräftige Meinungsumfrage anzubieten: Unterschätzen tatsächlich viele Menschen die Gefahren des Kiffens? Vielleicht gibt es ja Marihuanafreunde, die sich über die Risiken ihres Handelns im Klaren sind – zumindest, während sie nüchtern sind.

Quelle: Welt.de, 25. Januar 2014 (Link)

Einer von zehn Männern steht auf Kinder

StimmtHaltNicht – Zwar gibt die amerikanische Forscherin Sandy Wurtele an, genau dieses Ergebnis bei einer Untersuchung herausbekommen zu haben. Allerdings weckt ihre Methodik Zweifel.

fahndung-01Aber fangen wir von vorne an: Wurtele befragte 435 Probanden, Männer und Frauen. Alle blieben bei der Erhebung vollständig anonym. Den Teilnehmern wurden eine Reihe von gesellschaftlich geächteten Handlungen vorgelegt. Neben Sex mit Kindern und Kinderpornografie standen auf der Liste auch Banküberfälle und Mord. Jede Handlung würde, so das Gedankenspiel, im Geheimen stattfinden und straffrei bleiben.

Die Versuchspersonen sollten angeben, für wie erstrebenswert sie diese Tätigkeiten hielten. Auf einer sechsstufigen Skala konnten sie sich zwischen starker Zustimmung und strikter Ablehnung entscheiden.

Auch Wurtele entschied sich, und zwar für einen Kniff bei der Auswertung. Sie wertete nur strikte Ablehnung als Ablehnung. Alle Grautöne dazwischen zählte sie als Zustimmung. Wer also, aus welchen Gründen auch immer, nicht entschiedenen genug „Nein“ sagte, wurde als potenzieller Pädophiler einsortiert.

Dies ist vielleicht die passende Stelle, um darauf hinzuweisen, dass wir diese Studie nicht selbst ausgegraben und ausgwertet haben, sondern beim Neuroskeptic-Blog entdeckt haben. Und dort heißt es zusammenfassend:

„I’m not sure that makes sense.“

Aber es gibt auch gute Nachrichten. Bisher zumindest scheinen noch keine Medien auf diese Studie hereingefallen zu sein.

Quellen:
Sandy Wurtele et al. (2013). Sexual Interest in Children Among an Online Sample of Men and Women: Prevalence and Correlates. Sexual Abuse, online vor Print (Abstract)
Neuroskeptic (2013). Are One In Ten Men Sexually Attracted To Children? (Link) (auf diese Auswertung stützen wir uns; an den Volltext der Originalstudie sind wir nicht herangekommen)
Bildquelle: www.pixelio.de

„Jedes Kind ist hochbegabt“

StimmtHaltNicht – Der Trailer beginnt mit den Bildern einer Wüste im Dämmerlicht. Aus dem Off lobt eine Stimme erst die menschliche Vorstellungskraft. Dann warnt sie, dass Kindern diese Imaginationsfähigkeit systematisch ausgetrieben werde. Es folgt ein Schnitt, eine Texttafel wird eingeblendet:

„98 Prozent der Kinder kommen hochbegabt zur Welt. Nach der Schule sind es nur noch zwei Prozent.“

So wirbt der Regisseur Erwin Wagenhofer für seinen aktuellen Film. Seit vergangenem Donnerstag (31. Oktober 2013) wird Alphabet in Deutschland gezeigt. Am Ende des Trailers wiederholt der Neurowissenschaftler Gerald Hüther noch einmal die These, dass jedes Kind hochbegabt sei.

Wie man es auch dreht und wendet: Das ist Quatsch. Denn Hochbegabung ist ein halbwegs klar umrissenes Konzept aus der Intelligenzforschung. Hochbegabt ist, wer intellektuelle Leistungen erbringt, die weit über dem Durchschnitt liegen. Per Definition liegt der Durchschnitts-IQ bei 100. Hochbegabt ist, wer auf einen IQ von mehr als 130 kommt. Von 100 Menschen, die sich testen lassen, sind das etwa zwei.

Dabei ist Intelligenz relativ. Nehmen wir an, 98 Prozent der Kinder könnten bereits bei ihrer Geburt lesen. Das wäre beeindruckend. Doch vergliche man ihre Fähigkeiten, würde wieder ein Durchschnitts-IQ von 100 herauskommen. Denn Intelligenz ist, anders als etwa die Körpergröße, nie absolut, sondern entsteht immer im Vergleich zu anderen Menschen.

Die Aussage aus dem Alphabet-Trailer erinnert ein wenig an eine ältere Studie von Psychologen um Iain McCormick: Demnach halten sich 80 Prozent der Autofahrer für überdurchschnittlich gute Fahrzeuglenker. Und auch das kann, statistisch gesehen, natürlich nicht sein.

Quellen:
Trailer des Films Alphabet (Link)
Iain A. McCormick, Frank H. Walkey, Dianne E. Green (1986). Comparative perceptions of driver ability— A confirmation and expansion. Accident Analysis & Prevention, 18/3, 1986, 205-208 (Abstract)
Rena F. Subotnik, Paula Olszewski-Kubilius, Frank C. Worrell (2011). Rethinking Giftedness and Gifted Education: A Proposed Direction Forward Based on Psychological Science. Psychological Science in the Public Interest 12/1, 3-54 (Link)
Ian J. Deary, Alexander Weiss, G. David Batty (2010). Intelligence and Personality as Predictors of Illness and Death: How Researchers in Differential Psychology and Chronic Disease Epidemiology Are Collaborating to Understand and Address Health Inequalities. Psychological Science in the Public Interest 11/2, 53-79 (Link)

„4 Millionen Männer leiden in Deutschland unter vorzeitigem Samenerguss.“

StimmtHaltNicht – Entdeckt haben wir diese Aussage in der Brigitte (Ausgabe 16/2013). Erst dachten wir: kompletter Blödsinn, so viele Männer leiden sicher nicht unter Ejaculatio praecox, wie Fachleute den vorzeitigen Samenerguss nennen. Jetzt wissen wir: Die Zahlenangabe ist gar nicht das größte Problem an diesem Satz.

Aber der Reihe nach: Die vier Millionen Zufrühkommer gehen auf einer Studie des Hamburger Urologen Hartmut Porst zurück. In einer Umfrage ermittelte er, dass 20 Prozent der deutschen Männer nach eigenen Angaben unter Ejaculatio praecox leiden. Sie sind also früher fertig, als sie, ihre Partnerin oder ihr Partner das gerne hätten. Da nur Herren zwischen 18 und 70 Jahren befragt wurden, ergibt das (wir haben es mal ganz grob überschlagen) tatsächlich etwa vier Millionen Betroffene allein in diesen Altersgruppen. Sollten Teenager und Senioren dasselbe Problem haben, könnten es sogar noch mehr sein.

Foto: SHN

Wie viele Männer kommen früher, als sie wollen? Genau vier Millionen, heißt es in der Brigitte. Foto: SHN

Wir haben uns dann die Veröffentlichung von Porst noch einmal genauer angesehen. Besonders spannend ist in unseren Augen die Rubrik conflicts of interest. Dort kann man nachlesen, dass die Studienautoren direkt oder indirekt auf der Gehaltsliste des Pharmakonzerns Johnson & Johnson standen. Zu diesem Zeitpunkt hielt das Unternehmen das Patent auf einen Wirkstoff (Dapoxetin), der Männern mit Ejaculatio praecox helfen soll. Im Interesse der Firma war es wohl, dass möglichst viele Männer als hilfebedürftig erscheinen. Welches Ergebnis sich ein Financier wünscht, ist in der Regel kein Geheimnis.

Selbst bei besten Absichten der Wissenschaftler können Interessenkonflikte die Ergebnisse in eine bestimmte Richtung verschieben. Der Mediziner David Klemperer schreibt, solche Konflikte können das Urteilsvermögen beeinträchtigen. Das zeige sich etwa in „einseitiger und verzerrender Abwägung von Argumenten und Sachverhalten, der Vermeidung wichtiger Fragen, fehlender Ernsthaftigkeit in der Suche nach Wahrheit und Unfähigkeit, die Dinge zu sehen, wie sie wirklich sind“.

Zurück zur Brigitte. Die kurze Meldung endet dort mit dem Satz: „Hilfe gibt es unter www.spaeterkommen.de„. Dahinter steht Berlin Chemie, ein Unternehmen, das mittlerweile den Wirkstoff Dapoxetin vermarktet, Handelsname Priligy. Eine Internetseite, die über eine Krankheit informieren soll, bezahlt von der Firma, die das passende Medikament verkaufen will? Auch das kann man als Interessenkonflikt sehen. Auf diesen Zusammenhang wird in der Frauenzeitschrift nicht hingewiesen. Unserer Ansicht nach ist das nicht in Ordnung, schließlich steht das alles im redaktionellen Bereich und nicht bei den Anzeigen.

Übrigens wäre dieser Hinweis natürlich auch dann sinnvoll, wenn Priligy besser wirken würde, als es das arznei-telegramm berechnet hat. Männer mit diesem Medikament verzögerten den Orgasmus im Vergleich zu Probanden, die ein Scheinpräparat erhielten, um 0,7 bis 1,1 Minuten. Nicht zu vergessen, dass auch Nebenwirkungen auftreten können, der Stern berichtet von Übelkeit, Durchfall und Schwindelanfällen.

Wir sind selbst überrascht, was sich hinter drei Sätzen in der Brigitte alles verbergen kann.

Quellen:
Brigitte 16/2013, S. 142
www.spaeterkommen.de
Hartmut Porst et al. (2007). The Premature Ejaculation Prevalence and Attitudes (PEPA) Survey: Prevalence, Comorbidities, and Professional Help-Seeking. European Urology 51, 816-824 (Abstract)
David Klemperer (2009). Interessenkonflikte und Beeinflussung. Zeitschrift für Evidenz, Fortbildung und Qualität im Gesundheitswesen 103/3, 133-135 (Abstract)
Arznei telegramm (2009). Dapoxetin (Priligy) bei vorzeitiger Ejakulation, www.arznei-telegramm.de
Horst Güntheroth (2009). Wer zu früh kommt, den bestraft die Liebe, www.stern.de
Nicola Kuhrt (2013). Vorzeitiger Samenerguss: Pharmakonzern erfindet Massenleiden, www.spiegel.de
Bevölkerungsangaben nach Statistischem Bundesamt, www.destatis.de, Bevölkerung auf Grundlage des Zensus 2011 (Link) und nach Altersgruppen (Link)

„So geht Abnehmen heute. […] Das ist wissenschaftlich erwiesen.“

StimmtHaltNicht – Abzunehmen scheint mittlerweile eine Wissenschaft für sich zu sein. Ärzte, Apotheker und Forscher geben Tipps, raten zu dieser oder jener Diät. Betont seriös wird Almased vermarktet, ein Pulver „aus Soja, probiotischem Joghurt und naturbelassenem Honig“*, das sich zu einem „Diät-Drink“ verrühren lässt. Dieser Drink richtet sich offenbar gezielt an Frauen und wird in Anzeigen als wesentlicher Bestandteil eines „Bikini-Notfall-Plans“ angepriesen. Wir haben in einer doppelseitigen Anzeige in der Gala gelesen, dass die Großartigkeit von Almased angeblich durch Studien belegt ist. Wir haben uns auf die Suche nach Nachweisen gemacht – und sind enttäuscht worden.

Die Almased-Diät funktioniert so: Wer weniger wiegen möchte, soll für eine Woche alle Mahlzeiten durch den aus dem Pulver zusammengerührten Drink ersetzen. Ab der zweiten Woche gilt das nur noch für Frühstück und Abendessen. In den Almased-Anzeigen tritt als Kronzeuge der „Fachapotheker für Ernährungsberatung“ Rudolf Keil auf. Er sagt:

„Forscher der Universität Freiburg haben mehrere Ernährungsprogramme auf Effektivität getestet. Die Diät mit dem „Bikini-Notfall-Plan“ schnitt dabei überwältigend besser ab. Teilnehmer, die mit diesem Programm abgenommen haben, verloren deutlich mehr und schneller Fett als Teilnehmer mit anderen wissenschaftlich anerkannten Diäten.“

Wir glauben: Das stimmt halt nicht. Auf www.almased.de haben wir Anhaltspunkte gefunden, wie diese Aussage zustande kommt. Dort heißt es, eine vergleichende Studie habe „den überlegenen Erfolg einer Almased-unterstützten Diät gegenüber einigen herkömmlichen Diätprogrammen“ nachgewiesen. Verblüfft hat uns aber der Blick auf die Quellenangabe. Hier sind zwei unterschiedliche Fachveröffentlichungen aufgeführt. Es scheint also nicht eine, sondern zwei Studien zu geben, eine aus Freiburg, eine aus Boston. Und diese beiden Arbeiten wurden offenbar zu einer Aussage zusammengefasst.

So geht Abnehmen heute: Almased-Anzeige in der Gala. Foto: SHN

Bikini-Notfall-Plan? Almased-Anzeige in der Gala. Foto: SHN

Wir haben uns die beiden Studien angesehen – und die Fakten sprechen eher dagegen. In der Freiburger Untersuchung haben Wissenschaftler gezeigt, dass Probanden mithilfe von Almased mehr Gewicht verloren haben als Probanden, die im gleichen Zeitraum Kurse zur Gesundheitsberatung besuchten. Die Studie aus Boston verglich dagegen vier andere Diätprogramme, Ornish, Zone, Weight Watchers und Atkins. Beide Studien untersuchen die Probanden vor und etwa ein Jahr nach der jeweiligen Diät. Vergleicht man nur die Ergebnisse der beiden Studien, haben die Almased-Probanden nach rund einem Jahr tatsächlich mehr abgenommen als die Teilnehmer der amerikanischen Studie. Doch kann man die Studien wirklich so vergleichen?

Möglicherweise. In unseren Augen sollte man dann aber auch auf einige Unterschiede hinweisen. So waren die Abnehmwilligen in Freiburg zwischen 35 und 65 Jahren alt, sie wiesen einen Bodymass-Index von 27 bis 35 auf. In Boston dagegen wurden Probanden im Alter von 22 bis 72 Jahren einbezogen, ihr Bodymass-Index lag zwischen 27 und 42. Jeder der amerikanischen Probanden kam auf mindestens einen Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Solche Risikofaktoren waren zum Beispiel erhöhte Cholesterin- oder Blutdruckwerte. Etwas überspitzt gesagt: Die Diätteilnehmer in Boston waren älter, dicker und kränker als die in Freiburg. Diese Unterschiede müsste man in einen Vergleich eigentlich einbeziehen.

Darüber hinaus waren die Probanden in den USA nach zwei Monaten auf sich gestellt. In Deutschland wurden die Teilnehmer länger betreut. Vielleicht brachte das zusätzliche Motivation. Die amerikanischen Autoren schlussfolgern mit Blick auf die von ihnen untersuchten Angebote, dass alle untersuchten Diäten ähnlich erfolgreich sind – sofern sie nur eingehalten werden. In Boston gaben zwischen 35 und 50 Prozent der Teilnehmer vorzeitig auf. In Freiburg hielten 92 Prozent der Teilnehmer, die ein Abnehmprogramm gestartet hatten, durch.

Unseren Recherchen zufolge ist die Aussage, dass Almased „überwältigend besser“ ist als andere Programme zumindest wacklig. Wie sinnvoll das Almased-Konzept wirklich ist, haben wir nicht untersucht. Dazu hat sich beispielsweise der Rheumatologe Lothar Kirsch seine Gedanken gemacht.

* Alle nicht weiter benannten Zitate haben wir einer Almased-Anzeige entnommen

Quellen: Gala 24/2013, S. 76-77, Almased-Anzeige
www.almased.de, Menüpunkt Almased-Wissen (Link)
Aloys Berg (2007). Clinical Experience of Using a Calorie Reduced Meal Replacement. AdipositasSpektrum. Nachrichten der Deutschen Adipositas-Gesellschaft & Ernährungskonsil, 3/6, Reprint, S. 3-4 (Volltext)
Aloys Berg et al. (2005). Gewichtsreduktion durch Lebensstilintervention. Ernährungs-Umschau 52/8, S. 310-314 (Volltext)
Michael L. Dansinger et al. (2005). Comparison of the Atkins, Ornish, Weight Watchers, and Zone Diets for Weight Loss and Heart Disease Risk Reduction. JAMA, 293/1, S. 43-53 (Volltext)
Lothar M. Kirsch (2013). Abnehmen mit Almased? Blogeintrag (Link)

Hunde altern sieben Mal schneller als Menschen

StimmtHaltNicht – Um die Entwicklung von Hunden und Menschen zu vergleichen, gibt es eine einfache Faustregel. Sie besagt: Wenn man das Alter eines Hundes mit sieben multipliziert, erhält man als Ergebnis sein Alter in Menschenjahren. Ein siebenjähriger Vierbeiner wäre demnach so weit entwickelt wie ein Zweibeiner mit 49 Jahren. Leider ist diese Faustregel falsch.

Tierärzte und Hundebesitzer wissen das schon länger. Das Problem der Regel ist, dass dabei alle Vertreter der Gattung canis lupus familaris in einen Topf geworfen werden. Dabei leben Dänische Doggen im Durchschnitt weniger lang als Dackel. Ganz allgemein sterben große Hunde früher als kleine; je größer eine Hunderasse, desto schneller scheinen ihre Vertreter im Durchschnitt zu altern.

Das haben in jüngster Vergangenheit verschiedene Wissenschaftler gezeigt. Wenn es um die Erforschung von Leben und Tod von Hunden geht, ist der amerikanische Genetiker Daniel Promislow von der University of Georgia ein Experte. In einer jüngeren Übersichtsarbeit, die Promislow mit seiner deutschen Kollegen Cornelia Kraus verfasst hat, haben die Forscher für 74 Rassen modellhaft mehrere Hypothesen verglichen, die die unterschiedliche Lebenserwartung erklären könnten. Demnach ist es nicht so, dass große Hunde schon deutlich kränker als ihre kleinen Verwandten geboren werden. Sie haben vielmehr das Pech, einfach schneller zu altern. Die Forscher schließen das daraus, dass das Sterberisiko großer Hunde deutlich schneller zunimmt als das kleiner. Entsprechend treten bei großen Rassen auch früher typische Alterserkrankungen wie etwa Krebs auf. Das hat eine Gruppe um Promislow bereits 2011 herausgefunden.

Und warum dann überhaupt die Siebenjahres-Regel? Eine weitere Expertin aus dem Promislow-Dunstkreis, Kate Creevy, vermutet, dies liege daran, dass für alle Hunderassen insgesamt die Siebenjahres-Regel ein ganz brauchbares Durchschnittsergebnis liefere.

Quellen:
Cornelia Kraus, Samuel Pavard, Daniel Promislow (2013). The size-life span trade-off decomposed: why large dogs die young. The American Naturalist, 181(4): 492-505 (Volltext)
Ben Carter. Dog years: How do you calculate a dog’s true age? BBC News Magazine (Link)
Pressemeldung von 2011: Landmark study reveals breed-specific causes of death in dogs (Link)