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Experten: Aluminium in Deos macht Brustkrebs

StimmtHaltNicht – „Ich bin meiner Kollegin (…) dankbar, dass sie sich um dieses Thema gekümmert hat und dass wir Ihnen jetzt diesen Beitrag zeigen können. Deos können dazu beitragen, dass Brustkrebs entsteht. Das sagen Experten jetzt bei uns und schlagen wirklich Alarm. Es geht um einen bestimmten Inhaltsstoff und ich schwöre Ihnen, gleich fliegen bei Ihnen zu Hause ganz viele Deos in den Müll – bei mir war’s genauso.“

Gefährliche Krebsauslöser? Werfen Sie ihre Deos auf den Müll!  Screenshot: StimmtHaltNicht

Gefährliche Krebsauslöser? Werfen Sie ihre Deos in den Müll!
Screenshot: StimmtHaltNicht

So unfassbar unsachlich wie diese Anmoderation war auch der darauffolgenden Beitrag, den RTL am Samstagnachmittag in seinem Magazin „Explosiv“ zeigte. Es geht natürlich um Aluminium bzw. Aluminiumsalze in Antitranspirantien – und wieder einmal kommen die üblichen Wissenschaftler zu Wort und wieder einmal werden Passanten mit dem „fürchterlichen Verdacht“ konfrontiert.

Unglücklich ist auch die Darstellung der Brustkrebspatientin Eva Glave, die selbst einen Zusammenhang zwischen Aluminium und ihrer Erkrankung herstellt (in diesem Sinne kam sie bereits in der Dokumentation „Die Akte Aluminium“ zu Wort). Die Hebamme Glave zeigt sich zudem wütend, dass man nicht über das von Antitranspirantien ausgehende Risiko gewarnt hat: „Auch auf Zigarettenpackungen steht drauf: macht Krebs. Beim Deo bisher nicht“, sagt sie – und nennt auch gleich konkrete Zahlen. „Wenn man sich das vorstellt, dass viele darüber nicht informiert sind und dann irgendwie das benutzen und jede siebte Frau trifft dieser Scheiß ja sowieso, wenn davon vielleicht zwei dieses Problem als Auslöser haben, finde ich das ein ziemliches Unding.“ (1)

So traurig der Fall der Patientin ist – wir meinen, es ist ein Unding, dass die RTL-Journalisten diese Aussagen nicht reflektieren. Dass es Kritik an den erwähnten Untersuchungen gibt und sie in Fachkreisen kontrovers diskutiert werden, wird nicht gesagt. Da hilft auch der viel zu kurze O-Ton zur unzureichenden Datenlage eines Experten des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) nicht. (2)

So wie RTL es darstellt, teilen viele Fachleute die Auffassung, das übermäßiger Deogebrauch krank machen kann. Welche Experten das neben Philippa Darbre sein sollen, wissen wir nicht. Unseren Quellen zufolge ist diese Aussage nicht haltbar. Denn es mangelt schlicht an hochwertigen Untersuchungen zu dieser Fragestellung. (3)

Über die Berechnung der Mengenangaben des aufgenommenen Aluminiums erfährt der Zuschauer so gut wie nichts, dabei wäre gerade das wirklich einmal hilfreich gewesen. Über Fehler in der RTL-Berechnung und die tatsächliche Aufnahmemenge von Aluminium haben wir hier noch einmal gebloggt. 

Quellen:
RTL, 27.04.14, Aluminium in Deos: Gefährliche Krebsauslöser?, URL: http://www.rtl.de/cms/ratgeber/aluminium-in-deos-gefaehrliche-krebsausloeser-3a9d9-6e4e-15-1886592.html
Bundesinstitut für Risikobewertung, 26.02.2014, Fragen und Antworten zu Aluminium in Lebensmitteln und verbrauchernahen Produkten, URL: http://www.bfr.bund.de/de/fragen_und_antworten_zu_aluminium_in_lebensmitteln_und_verbrauchernahen_produkten-189498.html#topic_189501
Krebsinformationsdienst, 04.12.2013: Deos und Antitranspirantien: Als Risiko verkannt?, URL: https://www.krebsinformationsdienst.de/vorbeugung/risiken/mythen.php#inhalt13
Medizin-Transparent, Update, 31.3.2014, Brustkrebs durch Deos, URL: http://www.medizin-transparent.at/brustkrebs-durch-deos
Stiftung Warentest, 12.07.2013: Aluminium in Deos: Schweiß­hemmend und umstritten, URL: http://www.test.de/Aluminium-in-Deos-Schweisshemmend-und-umstritten-4570934-0/
SpiegelOnline, 19.03.2014: Wir machen uns mal frei: Ein Leben ohne Alu-Deo, http://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/aluminium-in-deos-so-kommt-man-auch-ohne-alu-nicht-ins-schwitzen-a-959293.html

Anmerkungen:

(1) Tatsächlich muss etwa jede achte Frau damit rechnen, an Brustkrebs zu erkranken. Diese Berechnung gilt aber nur für die gesamte Lebensspanne, bezogen auf eine Lebenserwartung von mindestens 80 Jahren, so der Krebsinformationsdienst.

(2) Bitte auch noch den Kommentar von Tommy beachten!

(3) Dass der Verzicht auf aluminiumhaltige Deos sinnvoll sein kann, bestreiten wir übrigens nicht (Stichwort „tolerierbare wöchentliche Aufnahmemenge“). Dazu hat das BfR kürzlich auch eine Stellungnahme herausgegeben. Dass aber ein kausaler Zusammenhang zwischen der Benutzung von Deos bzw. Antitranspirantien mit Aluminium und Brustkrebs hergestellt und nicht auf die herrschenden Unsicherheiten hingewiesen wird, ist tatsächlich so nicht tragbar. Wie SpOn berichtet, prüft das Verbraucherministerium nun, wie gefährlich Aluminium in Kosmetika ist.

„4 Millionen Männer leiden in Deutschland unter vorzeitigem Samenerguss.“

StimmtHaltNicht – Entdeckt haben wir diese Aussage in der Brigitte (Ausgabe 16/2013). Erst dachten wir: kompletter Blödsinn, so viele Männer leiden sicher nicht unter Ejaculatio praecox, wie Fachleute den vorzeitigen Samenerguss nennen. Jetzt wissen wir: Die Zahlenangabe ist gar nicht das größte Problem an diesem Satz.

Aber der Reihe nach: Die vier Millionen Zufrühkommer gehen auf einer Studie des Hamburger Urologen Hartmut Porst zurück. In einer Umfrage ermittelte er, dass 20 Prozent der deutschen Männer nach eigenen Angaben unter Ejaculatio praecox leiden. Sie sind also früher fertig, als sie, ihre Partnerin oder ihr Partner das gerne hätten. Da nur Herren zwischen 18 und 70 Jahren befragt wurden, ergibt das (wir haben es mal ganz grob überschlagen) tatsächlich etwa vier Millionen Betroffene allein in diesen Altersgruppen. Sollten Teenager und Senioren dasselbe Problem haben, könnten es sogar noch mehr sein.

Foto: SHN

Wie viele Männer kommen früher, als sie wollen? Genau vier Millionen, heißt es in der Brigitte. Foto: SHN

Wir haben uns dann die Veröffentlichung von Porst noch einmal genauer angesehen. Besonders spannend ist in unseren Augen die Rubrik conflicts of interest. Dort kann man nachlesen, dass die Studienautoren direkt oder indirekt auf der Gehaltsliste des Pharmakonzerns Johnson & Johnson standen. Zu diesem Zeitpunkt hielt das Unternehmen das Patent auf einen Wirkstoff (Dapoxetin), der Männern mit Ejaculatio praecox helfen soll. Im Interesse der Firma war es wohl, dass möglichst viele Männer als hilfebedürftig erscheinen. Welches Ergebnis sich ein Financier wünscht, ist in der Regel kein Geheimnis.

Selbst bei besten Absichten der Wissenschaftler können Interessenkonflikte die Ergebnisse in eine bestimmte Richtung verschieben. Der Mediziner David Klemperer schreibt, solche Konflikte können das Urteilsvermögen beeinträchtigen. Das zeige sich etwa in „einseitiger und verzerrender Abwägung von Argumenten und Sachverhalten, der Vermeidung wichtiger Fragen, fehlender Ernsthaftigkeit in der Suche nach Wahrheit und Unfähigkeit, die Dinge zu sehen, wie sie wirklich sind“.

Zurück zur Brigitte. Die kurze Meldung endet dort mit dem Satz: „Hilfe gibt es unter www.spaeterkommen.de„. Dahinter steht Berlin Chemie, ein Unternehmen, das mittlerweile den Wirkstoff Dapoxetin vermarktet, Handelsname Priligy. Eine Internetseite, die über eine Krankheit informieren soll, bezahlt von der Firma, die das passende Medikament verkaufen will? Auch das kann man als Interessenkonflikt sehen. Auf diesen Zusammenhang wird in der Frauenzeitschrift nicht hingewiesen. Unserer Ansicht nach ist das nicht in Ordnung, schließlich steht das alles im redaktionellen Bereich und nicht bei den Anzeigen.

Übrigens wäre dieser Hinweis natürlich auch dann sinnvoll, wenn Priligy besser wirken würde, als es das arznei-telegramm berechnet hat. Männer mit diesem Medikament verzögerten den Orgasmus im Vergleich zu Probanden, die ein Scheinpräparat erhielten, um 0,7 bis 1,1 Minuten. Nicht zu vergessen, dass auch Nebenwirkungen auftreten können, der Stern berichtet von Übelkeit, Durchfall und Schwindelanfällen.

Wir sind selbst überrascht, was sich hinter drei Sätzen in der Brigitte alles verbergen kann.

Quellen:
Brigitte 16/2013, S. 142
www.spaeterkommen.de
Hartmut Porst et al. (2007). The Premature Ejaculation Prevalence and Attitudes (PEPA) Survey: Prevalence, Comorbidities, and Professional Help-Seeking. European Urology 51, 816-824 (Abstract)
David Klemperer (2009). Interessenkonflikte und Beeinflussung. Zeitschrift für Evidenz, Fortbildung und Qualität im Gesundheitswesen 103/3, 133-135 (Abstract)
Arznei telegramm (2009). Dapoxetin (Priligy) bei vorzeitiger Ejakulation, www.arznei-telegramm.de
Horst Güntheroth (2009). Wer zu früh kommt, den bestraft die Liebe, www.stern.de
Nicola Kuhrt (2013). Vorzeitiger Samenerguss: Pharmakonzern erfindet Massenleiden, www.spiegel.de
Bevölkerungsangaben nach Statistischem Bundesamt, www.destatis.de, Bevölkerung auf Grundlage des Zensus 2011 (Link) und nach Altersgruppen (Link)