Wenn ich nicht bei Facebook bin, bin ich nicht bei Facebook

StimmtHaltNicht – Wir hatten darüber berichtet, dass Facebook womöglich persönliche Daten wie die sexuelle Orientierung oder etwa die Parteizugehörigkeit von seinen Nutzern kennt, auch wenn diese die jeweiligen Daten gar nicht angegeben haben.

Nun ist bekannt geworden, dass Facebook wohl noch einen Schritt weiter geht und sogar die Daten von Nicht-Mitgliedern sammelt. Den Anstoß gab diesmal eine Facebook-Panne, bei der ungewollt Nutzerdaten an Dritte weitergegeben wurden. Das pikante: Es wurden wohl auch Daten von Personen publik, die nie Mitglieder des Netzwerkes waren. Facebook entschuldigte sich darauf öffentlich für das Malheur.

Schatten

Nicht bei Facebook und somit sind unsere Beziehungen privat? Pustekuchen: In sogenannten Schattenprofilen sammelt Facebook offenbar auch Daten von Nicht-Mitgliedern.

Im Blog Hyperland hat Giuseppe Paletta die Erkenntnisse aus der Panne und Stimmen dazu noch einmal schön zusammengefasst: Demnach könnten auf Facebook sogenannte Schattenprofile von Personen existierten, die sich nie im Netzwerk registriert haben. Diese Profile enthalten unter Umständen Daten wie Namen, E-Mail und Telefonnummer der Nicht-Nutzer.

Doch woher bekommt Facebook diese Daten? „Immer dann, wenn ein User neue Freunde auf Facebook durch die Option Freunde finden eingeladen hat, speicherte das Unternehmen Daten wie E-Mail oder Handynummer der Eingeladenen. Ohne deren Wissen und Zustimmung“, schreibt Paletta und verweist auf Packetstormsecurity. Die Experten für Onlinesicherheit haben bei Facebook nachgefragt, ob das Unternehmen diese Daten von Nicht-Nutzern löscht. Sinngemäß sei folgende Antwort gekommen: Die Daten von Dritten werden so behandelt, als wären sie Daten unserer registrierten Nutzer. Und damit könne Facebook diese auch so verwenden.

 

Quellen:

ZDF Hyoerland, Ich bin nicht bei Facebook. Oder doch?, http://blog.zdf.de/hyperland/2013/07/ich-bin-nicht-bei-facebook/

Packetstormsecurity, Facebook: Where Your Friends Are Your Worst Enemies,  http://packetstormsecurity.com/news/view/22713/Facebook-Where-Your-Friends-Are-Your-Worst-Enemies.html

Insekten sind lästig, schädlich und machen sogar krank

StimmtHaltNicht – „Viele der Tiere sind sehr nützlich, sie ernähren uns, halten die Erde sauber und bewahren uns vor Gefahren.“ Das zeigen die Kollegen der Deutschen Welle in einer kleinen, aber sehenswerten Bildstrecke.

Da wir die Bilder ja leider nicht selbst zeigen können, diesmal nur der Link. Besonders fies finden wir übrigens die Larve des Marienkäfers, den „fröhlichen Lausvernichter“. Was beeindruckt Euch am meisten?

Viel Spaß beim Durchklicken: http://www.dw.de/nützliche-krabbeltiere/g-16981735

Nützliche Krabbeltiere - DW l Wissenschaft

Nützliche Krabbeltiere – Screenshot DW l Wissenschaft

 

„4 Millionen Männer leiden in Deutschland unter vorzeitigem Samenerguss.“

StimmtHaltNicht – Entdeckt haben wir diese Aussage in der Brigitte (Ausgabe 16/2013). Erst dachten wir: kompletter Blödsinn, so viele Männer leiden sicher nicht unter Ejaculatio praecox, wie Fachleute den vorzeitigen Samenerguss nennen. Jetzt wissen wir: Die Zahlenangabe ist gar nicht das größte Problem an diesem Satz.

Aber der Reihe nach: Die vier Millionen Zufrühkommer gehen auf einer Studie des Hamburger Urologen Hartmut Porst zurück. In einer Umfrage ermittelte er, dass 20 Prozent der deutschen Männer nach eigenen Angaben unter Ejaculatio praecox leiden. Sie sind also früher fertig, als sie, ihre Partnerin oder ihr Partner das gerne hätten. Da nur Herren zwischen 18 und 70 Jahren befragt wurden, ergibt das (wir haben es mal ganz grob überschlagen) tatsächlich etwa vier Millionen Betroffene allein in diesen Altersgruppen. Sollten Teenager und Senioren dasselbe Problem haben, könnten es sogar noch mehr sein.

Foto: SHN

Wie viele Männer kommen früher, als sie wollen? Genau vier Millionen, heißt es in der Brigitte. Foto: SHN

Wir haben uns dann die Veröffentlichung von Porst noch einmal genauer angesehen. Besonders spannend ist in unseren Augen die Rubrik conflicts of interest. Dort kann man nachlesen, dass die Studienautoren direkt oder indirekt auf der Gehaltsliste des Pharmakonzerns Johnson & Johnson standen. Zu diesem Zeitpunkt hielt das Unternehmen das Patent auf einen Wirkstoff (Dapoxetin), der Männern mit Ejaculatio praecox helfen soll. Im Interesse der Firma war es wohl, dass möglichst viele Männer als hilfebedürftig erscheinen. Welches Ergebnis sich ein Financier wünscht, ist in der Regel kein Geheimnis.

Selbst bei besten Absichten der Wissenschaftler können Interessenkonflikte die Ergebnisse in eine bestimmte Richtung verschieben. Der Mediziner David Klemperer schreibt, solche Konflikte können das Urteilsvermögen beeinträchtigen. Das zeige sich etwa in „einseitiger und verzerrender Abwägung von Argumenten und Sachverhalten, der Vermeidung wichtiger Fragen, fehlender Ernsthaftigkeit in der Suche nach Wahrheit und Unfähigkeit, die Dinge zu sehen, wie sie wirklich sind“.

Zurück zur Brigitte. Die kurze Meldung endet dort mit dem Satz: „Hilfe gibt es unter www.spaeterkommen.de„. Dahinter steht Berlin Chemie, ein Unternehmen, das mittlerweile den Wirkstoff Dapoxetin vermarktet, Handelsname Priligy. Eine Internetseite, die über eine Krankheit informieren soll, bezahlt von der Firma, die das passende Medikament verkaufen will? Auch das kann man als Interessenkonflikt sehen. Auf diesen Zusammenhang wird in der Frauenzeitschrift nicht hingewiesen. Unserer Ansicht nach ist das nicht in Ordnung, schließlich steht das alles im redaktionellen Bereich und nicht bei den Anzeigen.

Übrigens wäre dieser Hinweis natürlich auch dann sinnvoll, wenn Priligy besser wirken würde, als es das arznei-telegramm berechnet hat. Männer mit diesem Medikament verzögerten den Orgasmus im Vergleich zu Probanden, die ein Scheinpräparat erhielten, um 0,7 bis 1,1 Minuten. Nicht zu vergessen, dass auch Nebenwirkungen auftreten können, der Stern berichtet von Übelkeit, Durchfall und Schwindelanfällen.

Wir sind selbst überrascht, was sich hinter drei Sätzen in der Brigitte alles verbergen kann.

Quellen:
Brigitte 16/2013, S. 142
www.spaeterkommen.de
Hartmut Porst et al. (2007). The Premature Ejaculation Prevalence and Attitudes (PEPA) Survey: Prevalence, Comorbidities, and Professional Help-Seeking. European Urology 51, 816-824 (Abstract)
David Klemperer (2009). Interessenkonflikte und Beeinflussung. Zeitschrift für Evidenz, Fortbildung und Qualität im Gesundheitswesen 103/3, 133-135 (Abstract)
Arznei telegramm (2009). Dapoxetin (Priligy) bei vorzeitiger Ejakulation, www.arznei-telegramm.de
Horst Güntheroth (2009). Wer zu früh kommt, den bestraft die Liebe, www.stern.de
Nicola Kuhrt (2013). Vorzeitiger Samenerguss: Pharmakonzern erfindet Massenleiden, www.spiegel.de
Bevölkerungsangaben nach Statistischem Bundesamt, www.destatis.de, Bevölkerung auf Grundlage des Zensus 2011 (Link) und nach Altersgruppen (Link)

„So geht Abnehmen heute. […] Das ist wissenschaftlich erwiesen.“

StimmtHaltNicht – Abzunehmen scheint mittlerweile eine Wissenschaft für sich zu sein. Ärzte, Apotheker und Forscher geben Tipps, raten zu dieser oder jener Diät. Betont seriös wird Almased vermarktet, ein Pulver „aus Soja, probiotischem Joghurt und naturbelassenem Honig“*, das sich zu einem „Diät-Drink“ verrühren lässt. Dieser Drink richtet sich offenbar gezielt an Frauen und wird in Anzeigen als wesentlicher Bestandteil eines „Bikini-Notfall-Plans“ angepriesen. Wir haben in einer doppelseitigen Anzeige in der Gala gelesen, dass die Großartigkeit von Almased angeblich durch Studien belegt ist. Wir haben uns auf die Suche nach Nachweisen gemacht – und sind enttäuscht worden.

Die Almased-Diät funktioniert so: Wer weniger wiegen möchte, soll für eine Woche alle Mahlzeiten durch den aus dem Pulver zusammengerührten Drink ersetzen. Ab der zweiten Woche gilt das nur noch für Frühstück und Abendessen. In den Almased-Anzeigen tritt als Kronzeuge der „Fachapotheker für Ernährungsberatung“ Rudolf Keil auf. Er sagt:

„Forscher der Universität Freiburg haben mehrere Ernährungsprogramme auf Effektivität getestet. Die Diät mit dem „Bikini-Notfall-Plan“ schnitt dabei überwältigend besser ab. Teilnehmer, die mit diesem Programm abgenommen haben, verloren deutlich mehr und schneller Fett als Teilnehmer mit anderen wissenschaftlich anerkannten Diäten.“

Wir glauben: Das stimmt halt nicht. Auf www.almased.de haben wir Anhaltspunkte gefunden, wie diese Aussage zustande kommt. Dort heißt es, eine vergleichende Studie habe „den überlegenen Erfolg einer Almased-unterstützten Diät gegenüber einigen herkömmlichen Diätprogrammen“ nachgewiesen. Verblüfft hat uns aber der Blick auf die Quellenangabe. Hier sind zwei unterschiedliche Fachveröffentlichungen aufgeführt. Es scheint also nicht eine, sondern zwei Studien zu geben, eine aus Freiburg, eine aus Boston. Und diese beiden Arbeiten wurden offenbar zu einer Aussage zusammengefasst.

So geht Abnehmen heute: Almased-Anzeige in der Gala. Foto: SHN

Bikini-Notfall-Plan? Almased-Anzeige in der Gala. Foto: SHN

Wir haben uns die beiden Studien angesehen – und die Fakten sprechen eher dagegen. In der Freiburger Untersuchung haben Wissenschaftler gezeigt, dass Probanden mithilfe von Almased mehr Gewicht verloren haben als Probanden, die im gleichen Zeitraum Kurse zur Gesundheitsberatung besuchten. Die Studie aus Boston verglich dagegen vier andere Diätprogramme, Ornish, Zone, Weight Watchers und Atkins. Beide Studien untersuchen die Probanden vor und etwa ein Jahr nach der jeweiligen Diät. Vergleicht man nur die Ergebnisse der beiden Studien, haben die Almased-Probanden nach rund einem Jahr tatsächlich mehr abgenommen als die Teilnehmer der amerikanischen Studie. Doch kann man die Studien wirklich so vergleichen?

Möglicherweise. In unseren Augen sollte man dann aber auch auf einige Unterschiede hinweisen. So waren die Abnehmwilligen in Freiburg zwischen 35 und 65 Jahren alt, sie wiesen einen Bodymass-Index von 27 bis 35 auf. In Boston dagegen wurden Probanden im Alter von 22 bis 72 Jahren einbezogen, ihr Bodymass-Index lag zwischen 27 und 42. Jeder der amerikanischen Probanden kam auf mindestens einen Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Solche Risikofaktoren waren zum Beispiel erhöhte Cholesterin- oder Blutdruckwerte. Etwas überspitzt gesagt: Die Diätteilnehmer in Boston waren älter, dicker und kränker als die in Freiburg. Diese Unterschiede müsste man in einen Vergleich eigentlich einbeziehen.

Darüber hinaus waren die Probanden in den USA nach zwei Monaten auf sich gestellt. In Deutschland wurden die Teilnehmer länger betreut. Vielleicht brachte das zusätzliche Motivation. Die amerikanischen Autoren schlussfolgern mit Blick auf die von ihnen untersuchten Angebote, dass alle untersuchten Diäten ähnlich erfolgreich sind – sofern sie nur eingehalten werden. In Boston gaben zwischen 35 und 50 Prozent der Teilnehmer vorzeitig auf. In Freiburg hielten 92 Prozent der Teilnehmer, die ein Abnehmprogramm gestartet hatten, durch.

Unseren Recherchen zufolge ist die Aussage, dass Almased „überwältigend besser“ ist als andere Programme zumindest wacklig. Wie sinnvoll das Almased-Konzept wirklich ist, haben wir nicht untersucht. Dazu hat sich beispielsweise der Rheumatologe Lothar Kirsch seine Gedanken gemacht.

* Alle nicht weiter benannten Zitate haben wir einer Almased-Anzeige entnommen

Quellen: Gala 24/2013, S. 76-77, Almased-Anzeige
www.almased.de, Menüpunkt Almased-Wissen (Link)
Aloys Berg (2007). Clinical Experience of Using a Calorie Reduced Meal Replacement. AdipositasSpektrum. Nachrichten der Deutschen Adipositas-Gesellschaft & Ernährungskonsil, 3/6, Reprint, S. 3-4 (Volltext)
Aloys Berg et al. (2005). Gewichtsreduktion durch Lebensstilintervention. Ernährungs-Umschau 52/8, S. 310-314 (Volltext)
Michael L. Dansinger et al. (2005). Comparison of the Atkins, Ornish, Weight Watchers, and Zone Diets for Weight Loss and Heart Disease Risk Reduction. JAMA, 293/1, S. 43-53 (Volltext)
Lothar M. Kirsch (2013). Abnehmen mit Almased? Blogeintrag (Link)

Hunde altern sieben Mal schneller als Menschen

StimmtHaltNicht – Um die Entwicklung von Hunden und Menschen zu vergleichen, gibt es eine einfache Faustregel. Sie besagt: Wenn man das Alter eines Hundes mit sieben multipliziert, erhält man als Ergebnis sein Alter in Menschenjahren. Ein siebenjähriger Vierbeiner wäre demnach so weit entwickelt wie ein Zweibeiner mit 49 Jahren. Leider ist diese Faustregel falsch.

Tierärzte und Hundebesitzer wissen das schon länger. Das Problem der Regel ist, dass dabei alle Vertreter der Gattung canis lupus familaris in einen Topf geworfen werden. Dabei leben Dänische Doggen im Durchschnitt weniger lang als Dackel. Ganz allgemein sterben große Hunde früher als kleine; je größer eine Hunderasse, desto schneller scheinen ihre Vertreter im Durchschnitt zu altern.

Das haben in jüngster Vergangenheit verschiedene Wissenschaftler gezeigt. Wenn es um die Erforschung von Leben und Tod von Hunden geht, ist der amerikanische Genetiker Daniel Promislow von der University of Georgia ein Experte. In einer jüngeren Übersichtsarbeit, die Promislow mit seiner deutschen Kollegen Cornelia Kraus verfasst hat, haben die Forscher für 74 Rassen modellhaft mehrere Hypothesen verglichen, die die unterschiedliche Lebenserwartung erklären könnten. Demnach ist es nicht so, dass große Hunde schon deutlich kränker als ihre kleinen Verwandten geboren werden. Sie haben vielmehr das Pech, einfach schneller zu altern. Die Forscher schließen das daraus, dass das Sterberisiko großer Hunde deutlich schneller zunimmt als das kleiner. Entsprechend treten bei großen Rassen auch früher typische Alterserkrankungen wie etwa Krebs auf. Das hat eine Gruppe um Promislow bereits 2011 herausgefunden.

Und warum dann überhaupt die Siebenjahres-Regel? Eine weitere Expertin aus dem Promislow-Dunstkreis, Kate Creevy, vermutet, dies liege daran, dass für alle Hunderassen insgesamt die Siebenjahres-Regel ein ganz brauchbares Durchschnittsergebnis liefere.

Quellen:
Cornelia Kraus, Samuel Pavard, Daniel Promislow (2013). The size-life span trade-off decomposed: why large dogs die young. The American Naturalist, 181(4): 492-505 (Volltext)
Ben Carter. Dog years: How do you calculate a dog’s true age? BBC News Magazine (Link)
Pressemeldung von 2011: Landmark study reveals breed-specific causes of death in dogs (Link)

Sex hilft bei Migräne

StimmtHaltNicht – „Schatz, heute nicht, ich habe Kopfschmerzen.“ Ist diese klischeehafte Ausrede vielleicht bald eher ein Argument für anstatt gegen Sex? Wohl eher nicht, denn die sexuelle Betätigung bei Migräne hilft längst nicht allen Betroffenen – anders, als so manche Medienberichterstattung derzeit verlauten lässt.

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Sex hilft bei Migräne: Google-Suche vom 27. Mai

Aber schauen wir uns die derzeit kursierenden Zahlen einmal genauer an. Soviel wir wissen, stammen die derzeit zitierten Daten aus einer Patientenbefragung, die im Rahmen einer Doktorarbeit an der Universität Münster durchgeführt wurde.

Demnach gaben 60 Prozent der Migränepatienten an, dass sich ihr Zustand durch Sex verbesserte, bei 33 Prozent verschlechterte sich der Zustand dagegen. Stark vereinfacht gerundet bedeutet dies: Wenn drei Personen mit Migräne Sex haben, fühlen sich zwei von ihnen danach besser, eine schlechter. Eine Chance von 2 : 1 mag bei dieser „Therapie“ ja noch verlockend klingen, aber sind die Daten auch verlässlich?

Wie  kommt die Studienautorin zu diesen Annahmen?

Für die Untersuchung wurden entsprechende Fragebögen an 800 Migränepatienten einer überregionalen Kopfschmerzambulanz verschickt – zurück kamen 304*. In diesen gab rund ein Drittel (34 Prozent) der Befragten an, während einer Kopfschmerzphase Erfahrungen mit sexueller Aktivität gemacht zu haben. Die obigen Aussagen beziehen sich somit auf die Angaben von 103 Migränepatienten.

Hier fragen wir uns, ob diese Zahlen auf die übrigen Betroffenen übertragbar sind. Ob etwa Migränepatienten, denen so übel ist, dass sie gar keine Lust auf Sex haben, in gleicher Weise profitieren würden. Das würden sie vermutlich nicht und das sagen auch die Studienautoren. Sie mutmaßen sogar, dass die erhaltenen Antworten möglicherweise nicht einmal repräsentativ für die kontaktierten Patienten sind. Im Klartext heißt das: „Der Zusammenhang zwischen Kopfschmerzen und sexueller Aktivität ist nicht so eindeutig, dass man jedem Kopfschmerz-Patienten zu ‚heilsamer sexueller Aktivität‘ raten könnte“.

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Sex bei Migräne? Nicht für alle eine befriedigende Lösung.

Und wer jetzt dennoch beim nächsten Migräneanfall des Partners auf diese heilsame Aktivität beharrt, dem sei noch eines gesagt: Die Art der sexuellen Betätigung hatte keinen Einfluss auf die Besserung der Migräne – es funktionierte auch bei sexuellen Aktivitäten ganz ohne Partner.

* Es wurden ebenfalls Patienten mit sogenannten Clusterkopfschmerzen untersucht. Die Ergebnisse hier waren ähnlich.

 Quellen:

PM Uni Münster „Sexuelle Aktivität kann gegen Migräne helfen: Doktorandin befragte 400 Patienten zu ihren Erfahrungen“, URL: http://campus.uni-muenster.de/campus-news.html?&newsid=1434&cHash=ea766a3c25e19e4530f0cf5d5bec0132

Sowie die dort verlinkten Paper:
Hambach, Anke et al. (2013): The impact of sexual activity on idiopathic headaches: An observational study. In: Cephalalgia. Published online before print February 19, 2013. (nur Abstract)
Hambach, Anke/Evers, Stefan/Frese, Achim (2013): Sexuelle Aktivität und Kopfschmerz: Auslöser oder Entlastung? In: Nervenheilkunde 3/2013.

 

Bildquelle: www.pixelio.de

„Jolies Operation ist […] eine Panikhandlung“

Die Schauspielerin Angelina Jolie hat sich beide Brüste entfernen lassen. Sie will so Brustkrebs vorbeugen. Jolie hat das vor wenigen Tagen öffentlich verkündet. Darüber haben Medien auf der ganzen Welt berichtet. Auch die Feministin Alice Schwarzer hat eine Meinung dazu. Sie schreibt im Blog der Zeitschrift Emma:

„Nicht nur [Jolies] […] geliebte Mutter starb mit 56 an Brustkrebs, auch sie selbst trägt das Brustkrebsgen BRCA1 in sich. Laut Experten erhöht das das Risiko zu erkranken um 60 bis 90 Prozent. Doch lässt sich ein solches Problem mit dem Messer lösen? Kann ein Mensch Körperteile, die bedroht sein könnten, einfach abschneiden und bleibt dann gesund zurück? Gewiss nicht. Ein so entfremdetes, mechanisches Verhältnis zum eigenen Körper trägt dem komplexen Zusammenspiel eines Körpers inklusive der Rolle psychischer Einflüsse kaum Rechnung. Jolies Operation ist also weder mutig noch feige, sie ist eine Panikhandlung.“

Schwarzers Meinung bleibt ihr unbenommen. Einige Fakten sind aber in unseren Augen falsch oder missverständlich wiedergegeben. Wir helfen gerne weiter:

  • Angelina Jolies Brustkrebsrisiko ist nicht erhöht, weil sie das Brustkrebsgen BRCA1 trägt. Ihr Risiko ist, kleiner aber feiner Unterschied, erhöht, weil sie eine mutierte Version dieses Gens von ihrer Mutter geerbt hat. Das passiert relativ selten. Etwa eine von 500 Frauen trägt eine solche veränderte BRCA1-Variante. Manche Quellen gehen davon aus, dass dies noch seltener vorkommt.
  • Angelina Jolie selbst gibt ihr ursprüngliches Brustkrebsrisiko mit 87 Prozent an. Gemeint ist damit, dass sie mit eben dieser Wahrscheinlichkeit irgendwann in ihrem Leben an Brustkrebs erkrankt wäre, hätte sie sich nicht für eine sogenannte Mastektomie entschieden. Jolie sagt, die Operationen hätten ihr Brustkrebsrisiko auf unter fünf Prozent gesenkt. Dass trotzdem ein Restrisiko bleibt, liegt daran, dass Ärzte das Gewebe nie vollständig entfernen können.
  • Entfremdetes, mechanisches Körperverständnis, psychische Faktoren? Wir wissen nicht genau, was Alice Schwarzer damit meint. Wir vermuten, sie meint: Angelina Jolies
    Die Schauspielerin Angelina Jolie, Mikhail Popov (Михаил Попов, http://thebestphotos.ru/)

    Angelina Jolie, 2010 in Moskau. Bild: Mikhail Popov (Михаил Попов, http://thebestphotos.ru/) via Wikipedia

    Brustkrebsrisiko wäre auch gesunken, wenn sie irgendwie psychisch mehr mit sich im Reinen wäre. Das würde so allerdings nicht stimmen. Psychologen weisen schon länger darauf hin, dass die Vorstellung einer sogenannten Krebspersönlichkeit der Realität kaum entspricht. Der Mensch ist, und da hat Alice Schwarzer recht, nämlich verdammt kompliziert. Und so etwas komplexes wie den Einfluss der Seele auf die Krebsentstehung hat noch niemand nachvollziehbar nachgewiesen (außer, die Seele sagt: Trink wie ein Loch und rauch wie ein Schlot, aber das wäre eine andere Geschichte).

Wer sich intensiver mit dem Thema befassen möchte, dem empfehlen wir folgende Internetseiten:
Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums, www.krebsinformationsdienst.de/vorbeugung/risiken/brustkrebsrisiko-mai2013.php und www.krebsinformationsdienst.de/leben/krankheitsverarbeitung/psyche-und-krebsrisiko.php
BBC Radio 4, More or Less: Angelina Jolie’s 87% cancer risk; Romanian crime stats (Sendung vom 17. Mai 2013, Podcast: www.bbc.co.uk/programmes/b01sdw2d)
Nachtrag, 21. Mai 2013: Bei Medizin-Transparent gibt es eine umfangreiche Analyse zu den bisher bekannten Fakten zur vorbeugenden Brustentfernung: www.medizin-transparent.at/das-paradox-der-brustentfernung

Cranberry-Produkte und Blasenentzündungen

Im Oktober hatten wir über Cranberry-Produkte und ihren angeblichen Schutz vor einer Blasenentzündung berichtet. Dass ein paar Schlucke des Saftes entsprechend wirken, wurde zwar immer wieder behauptet, aber es StimmtHaltNicht.

Das Thema haben jetzt auch die Gesundheitsexperten des IQWiGs in ihrem aktuellen Newsletter noch einmal aufgegriffen. Ihr Beitrag Blasenentzündung: Können Cranberry-Produkte vorbeugen? ist etwas ausführlicher und verweist zudem auf das Merkblatt: Blasenentzündungen bei Frauen. Schaut’s Euch an…

Cranberry-Ernte

Cranberry-Ernte, Bild von Keith Weller, USDA-ARS [Public domain], via Wikimedia Commons

„Natürliche Kräuter wie Lavendel, Hopfen oder Melisse können auf sanfte Art bei der Entspannung helfen.“

StimmtHaltNicht – Das Zitat ist Teil von acht Tipps für besseren Schlaf. Sie stammen vom Schlafmediziner Michael Feld. Auf diese Tipps sind wir im Vorbeilaufen gestoßen: Sie sind uns im Schaufenster eines Bettengeschäfts aufgefallen. Wir haben uns gleich gefragt, wie gut sie belegt sind – und haben uns das am Beispiel des Lavendels genauer angeschaut.

Unser Fazit: Für den Lavendel-Tipp wäre der Konjunktiv eher angebracht. Unter Umständen könnte Lavendel zur Entspannung beitragen. Die wissenschaftliche Datenlage ist aber eher durchwachsen: Die einen sagen so, die anderen so. Und ob es unangenehme Langzeitfolgen gibt, wenn man jede Nacht in einem Zimmer mit Lavendelduft schläft, ist nicht untersucht.

Wie kommen wir zu dieser Aussage? Den violetten Blüten des Lavendelstrauchs und dem daraus hergestellten Öl wird eine beruhigende Wirkung zugeschrieben. Das Herz schlägt ruhig und gleichmäßig, der entspannende Teil des Nervensystems, der Parasympathikus, übernimmt das Kommando, man fühlt sich entspannt. Soweit die Theorie.

Doch die Ergebnisse, die wir bei einer Recherche in medizinischen Datenbanken gefunden haben, sind eben ziemlich durchwachsen. So vermelden japanische Wissenschaftler einen entspannenderen Schlaf für Versuchspersonen, die in einem nach Lavendel duftenden Raum nächtigen. Klingt erst einmal gut. Der Haken an der Sache ist aber, dass die Schlafforscher ihre Hypothese nur an 15 Versuchspersonen testeten. Bei so niedrigen Zahlen können das aber auch Zufallsbefunde sein.

Iranische Forscher kommen zu dem Schluss, dass herzkranke Menschen im Krankenhaus besser schlafen, wenn sie ein Baumwolltuch mit zwei Tropfen Lavendelöl in der Nähe haben. In dieser Studie waren die Fallzahlen zwar höher. Allerdings erhielt die Lavendelgruppe zusätzliche Aufmerksamkeit vom Pflegepersonal, während die Vergleichsgruppe nur die normale Basispflege bekam. So lässt sich nicht ausschließen, dass die erhöhte Zuneigung in Wirklichkeit für die Unterschiede verantwortlich war.

Während diese Arbeiten aus Japan und Iran nur wenige Nächte dauerten, haben sich Fachleute aus Taiwan immerhin drei Monate der Beobachtung gegönnt. Eine Gruppe von Frauen zwischen 45 und 55 Jahren inhalierte zwei Mal pro Woche Lavendelduft, während einer zweite Gruppe Informationen zu gutem Schlaf vermittelt wurde. Alle Teilnehmerinnen litten an Schlafproblemen. Die Lavendelfrauen hatten kurzfristig eine geringe Herzschlagfrequenz und eine höhere Aktivierung des Parasympathikus, waren also entspannter. Langfristig zeigten sich allerdings keine nachhaltigen Unterschiede.

Die Psychologen Brian Hughes und Siobhan Howard von der National University of Ireland sind sich zudem sicher, dass ein Großteil der Entspannungseffekte von Lavendelduft auf entsprechende Erwartungen zurückgeht. Hughes und Howard zeigten das in einem Laborexperiment mit 96 Studentinnen. Nach einer anstrengenden Aufgabe erhielten die Teilnehmerinnen ein Placebo oder eine Form von Lavendelzubereitung*. Ergebnis: Entspannend wirkte beides – wenn die Studienleiter vorher eine entsprechende Erwartungshaltung aufgebaut hatten.

Was uns aufgefallen ist: Die Versuchspersonen und die Ziele der Behandlung mit Lavendelduft waren sehr unterschiedlich – junge Frauen, alte Frauen, gesunde Teilnehmer und kranke Teilnehmer, alles vertreten. Daraus lässt sich beim besten Willen keine pauschale Empfehlung ableiten: Was für jemanden mit Herzproblemen in einem iranischen Krankenhaus gut ist, muss es für einen Durschnittsschlaflosen in Deutschland noch lange nicht sein.

* Wir wissen nicht, was für eine Form von Lavendelzubereitung in der Studie von Hughes und Howard eingesetzt wurde.

Quellen:
Wie sind wir auf unsere Quellen gestoßen? Wir haben zuerst bei der Cochrane Library geschaut. Dort findet man oft umfangreiches Material. Zum Thema Lavendel und Schlaf waren allerdings keine Informationen vorhanden. Wir haben dann bei der Medizindatenbank Pubmed geschaut: Sie listet für diese Stichworte 32 Treffer; bei näherem Hinschauen waren viele aber für unsere Fragestellung nicht weiter interessant. Im Folgenden die Quellen, die wir intensiver berücksichtigt haben.

Hirokawa K, Nishimoto T, Taniguchi T. (2012). Effects of lavender aroma on sleep quality in healthy Japanese students. Percept Mot Skills, 114/1, S. 111-22 (Abstract)
Mahin Moeini et al. (2010). Effect of aromatherapy on the quality of sleep in ischemic heart disease patients hospitalized in intensive care units of heart hospitals of the Isfahan University of Medical Sciences. Iran J Nurs Midwifery Res, 15/4, S. 234–239 (Volltext)
Chien LW, Cheng SL, Liu CF (2012). The effect of lavender aromatherapy on autonomic nervous system in midlife women with insomnia. Evid Based Complement Alternat Med, online, doi: 10.1155/2012/740813 (Volltext)
Siobhán Howard, Brian M. Hughes (2008). Expectancies, not aroma, explain impact of lavender aromatherapy on psychophysiological indices of relaxation in young healthy women. British Journal of Health Psychology, 13/4, S. 603–617 (Abstract)

Stress ist schlecht

Eichhörnchenmutter trägt Baby. Bild: Ryan W. Taylor

Eichhörnchenmutter trägt Baby. Bild: Ryan W. Taylor

StimmtHaltNicht – Zumindest nicht für Eichhörnchen. Stressgeplagte Mütter haben robusteren Nachwuchs. Kandadische Biologen um Ben Dantzer haben das ermittelt. Dantzer zufolge ist der Mechanismus etwa folgender: Wenn viele Eichhörnchen auf engem Raum leben, wird das Überleben für jeden einzelnen Nager schwieriger. Die Eichhörnchenmütter reagieren auf die Rufe, die sie von anderen Eichhörnchen hören, indem sie vermehrt Stresshormone produzieren. Diese wiederum sorgen dafür, dass ihre eigenen Kinder nach der Geburt schneller wachsen und sich ihren Platz im Territorium erkämpfen können.

Aber wir geben gerne zu: Eigentlich haben wir nur einen Grund gesucht, um dieses Eichhörnchen-Bild zu posten. Demnächst dann wieder mehr Ernsthaftigkeit, versprochen.

Quelle: Ben Dantzer et al. (2013). Density Triggers Maternal Hormones That Increase Adaptive Offspring Growth in a Wild Mammal. Science, online vor print. (Abstract)
Pressmitteilung der University of Guelph: Stress is good thing for parents, babies in squirrel world (Link)