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Kann die Huffington Post Wissenschaft?

StimmtHaltNicht – Seit knapp zwei Wochen ist die deutsche Huffington Post nun online. Über das Geschäftsmodell und die allgemeine Qualität ist on- und offline schon viel gesagt und geschrieben worden (zum Beispiel hier, hier und hier).

Wir sind Wissenschaftsjournalisten. Deshalb interessiert uns: Findet auf www.huffingtonpost.de auch Wissenschaftsjournalismus statt?

Wissenschaftsjournalismus ist, einfach gesagt, wenn Journalisten über das berichten, was Forscher so treiben. Wobei es sich eingebürgert hat, dass vorwiegend das thematisiert wird, was Naturwissenschaftler, Mediziner und Psychologen herausfinden. Erfahrungsgemäß haben Geisteswissenschaften ihre Heimat heute eher im Feuilleton.

Nach diesem, eher eng gefassten Verständnis, gibt es tatsächlich eine Handvoll Texte auf der deutschen Huffington Post, die als Wissenschaftsjournalismus durchgehen. Wir haben fünf eigene Beiträge entdeckt und einige Agenturmeldungen. Das ist nicht viel, aber vielleicht genug, um eine erste Einschätzung zu wagen.

Auffällig ist: Die Autoren der Huffington Post gehen ziemlich lax und intransparent mit Quellen um. Für alle Journalisten gehört es dazu, deutlich zu machen, woher sie ihre Informationen haben. Wer über Wissenschaft berichtet, hat es eigentlich besonders leicht, denn Forscher veröffentlichen ihre Ergebnisse in Fachjournalen. Aus diesen Quellen lässt sich bequem zitieren. Online sind Links ohne größeren Aufwand möglich.

Konkret liest sich das dann in der Huffington Post so: „Geld macht nicht glücklich. Aber wie eine Studie im „Science“ Magazin herausfand, hat es einen positiveren Effekt auf sein persönliches Glücksempfinden, wenn man für andere Geld ausgibt und nicht für sich selbst.“

Mal davon abgesehen, dass nicht Studien, sondern Wissenschaftler Dinge herausfinden – wenn man nicht weiß, worauf sich diese Sätze beziehen (nämlich auf diese Studie aus dem Jahr 2008), ist es schwer, zu verstehen, was die Autorin meint. Nun stammt dieses Beispiel aus einem Text über die Geheimnisse glücklicher Menschen, der aus der amerikanischen Huffington Post übersetzt wurde.

Vielleicht sind die eigenen Beiträge besser? Nicht wirklich. Ein gutes schlechtes Beispiel ist etwa der Text Stimmungstief Im Herbst: So Bringen Sie Licht In Ihren Alltag. Keine einzige Aussage wird durch eine Quelle gestützt. Dafür gibt es Tipps wie: „Gute Laune dank Johanniskraut-Tee. Johanniskraut wirkt doppelt: Es hilft gegen Depressionen und erhöht die Lichtempflindlichkeit. Augen und Haut können mehr Licht aufnehmen.“ Neben dem fehlenden Beleg für diese Aussage vermissen wir auch einen Hinweis auf mögliche Nebenwirkungen einer solchen Selbstmedikation.

Die anderen Texte, die wir uns angesehen haben, schwanken zwischen ganz okay und Kopfschütteln. Unser Fazit: Da ist noch viel Luft nach oben. Natürlich ist niemand gezwungen, über Themen der Wissenschaftswelt zu berichten. Nur: Wenn man sich dafür entscheidet, sollte man es richtig machen.

„Wer kein Geld hat, denkt langsamer“

StimmtHaltNicht – Lässt sich in drei Sätzen erklären, wie Armut und Intelligenz zusammenhängen? Schon wer als arm gilt und was man unter Intelligenz überhaupt zu verstehen hat, ist nicht immer ganz einfach zu erklären. Die Bild-Zeitung hat es am Samstag trotzdem versucht. Auf Seite 1 wird dort eine Studie aus dem Fachblatt Science so zusammengefasst: „Wer Geldsorgen hat, ist nicht nur ärmer, sondern auch dümmer […].“ Im zweiten Satz heißt es, wer arm sei, schneide in Intelligenztests um 13 Punkte schlechter ab als andere Menschen. Warum? Möglicherweise blockieren Geldsorgen das Denken.

Ist das wirklich so einfach? Wäre famos, wenn es so wäre. Tatsächlich beziehen sich die Bild-Journalisten auf eine interessante Studie der Wirtschaftswissenschaftlerin Anandi Mani von der University of Warwick. Aber Mani hat eben nicht herausgefunden, dass arme Menschen dümmer sind als andere. In einer Serie von Versuchen bat Mani Probanden mit unterschiedlichen Einkommen, an Intelligenztests teilzunehmen. Zuvor sollten die Versuchspersonen verschiedene Szenarien durchdenken. Dabei sollten sie sich zum Beispiel vorstellen, ihr Auto sei kaputt. Die Reparatur koste 1500 Dollar (teure Bedingung) oder 150 Dollar (neutrale Bedingung).

Foto: StimmtHaltNicht

Warum Heino der Affe laust? Wissen wir leider auch nicht. Foto: StimmtHaltNicht

War die Autoreparatur eher billig, hatte das keinen Einfluss auf die Ergebnisse. Alle Teilnehmer schnitten ähnlich gut ab. Anders sah es nur aus, wenn der Hinweis auf eine teure Reparatur die ärmeren Versuchspersonen an ihren Kontostand erinnerte. Das beschäftigte sie so stark, dass sie im Durchschnitt schlechter abschnitten. So kommt die Bild-Zeitung auf einen Verlust von 13 IQ-Punkten. Um das einordnen zu können, wäre ein Vergleich hilfreich gewesen, der sich in der offiziellen Pressemitteilung findet. Dort heißt es, die Denkfähigkeit sei etwa so stark beeinträchtigt wie nach einer schlaflosen Nacht.

Das ist nicht unplausibel. Wir alle haben nur begrenzte geistige Ressourcen. Wer plötzlich daran denken muss, dass ihm Geld auf dem Konto fehlt, ist wahrscheinlich wirklich nicht in der Lage, sich voll auf einen Intelligenztest zu konzentrieren. Die Forscher vergleichen das mit Fluglotsen, die gerade dabei sind, eine Kollision von zwei Flugzeugen zu verhindern – sie haben dann auch weniger Ressourcen für die anderen Flugzeuge auf dem Radar. Sind Fluglotsen in seiner solchen Situation plötzlich „dümmer“ als sonst?

Es braucht vielleicht etwas Platz, um das zu erklären (wie ihn sich etwa die Kollegen im Deutschlandfunk genommen haben). Die Bild-Mitarbeiter hätten ihn sich nehmen sollen. Das ist auch eine Frage des Respekts und der Verantwortung. Denn sonst bleibt schnell hängen: Arm gleich dumm gleich selber schuld.

Quellen:
Bild-Zeitung vom 31. August 2013, Seite 1 (die Online-Version ist nicht ganz so knapp)
Anandi Mani, Sendhil Mullainathan, Eldar Shafir, Jiaying Zhao (2013). Poverty Impedes Cognitive Function. Science, 341, 976-980 (Abstract)
Pressemitteilung der Princeton University vom 29. August 2013: Poor concentration: Poverty reduces brainpower needed for navigating other areas of life (Link)

Wenn ich nicht bei Facebook bin, bin ich nicht bei Facebook

StimmtHaltNicht – Wir hatten darüber berichtet, dass Facebook womöglich persönliche Daten wie die sexuelle Orientierung oder etwa die Parteizugehörigkeit von seinen Nutzern kennt, auch wenn diese die jeweiligen Daten gar nicht angegeben haben.

Nun ist bekannt geworden, dass Facebook wohl noch einen Schritt weiter geht und sogar die Daten von Nicht-Mitgliedern sammelt. Den Anstoß gab diesmal eine Facebook-Panne, bei der ungewollt Nutzerdaten an Dritte weitergegeben wurden. Das pikante: Es wurden wohl auch Daten von Personen publik, die nie Mitglieder des Netzwerkes waren. Facebook entschuldigte sich darauf öffentlich für das Malheur.

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Nicht bei Facebook und somit sind unsere Beziehungen privat? Pustekuchen: In sogenannten Schattenprofilen sammelt Facebook offenbar auch Daten von Nicht-Mitgliedern.

Im Blog Hyperland hat Giuseppe Paletta die Erkenntnisse aus der Panne und Stimmen dazu noch einmal schön zusammengefasst: Demnach könnten auf Facebook sogenannte Schattenprofile von Personen existierten, die sich nie im Netzwerk registriert haben. Diese Profile enthalten unter Umständen Daten wie Namen, E-Mail und Telefonnummer der Nicht-Nutzer.

Doch woher bekommt Facebook diese Daten? „Immer dann, wenn ein User neue Freunde auf Facebook durch die Option Freunde finden eingeladen hat, speicherte das Unternehmen Daten wie E-Mail oder Handynummer der Eingeladenen. Ohne deren Wissen und Zustimmung“, schreibt Paletta und verweist auf Packetstormsecurity. Die Experten für Onlinesicherheit haben bei Facebook nachgefragt, ob das Unternehmen diese Daten von Nicht-Nutzern löscht. Sinngemäß sei folgende Antwort gekommen: Die Daten von Dritten werden so behandelt, als wären sie Daten unserer registrierten Nutzer. Und damit könne Facebook diese auch so verwenden.

 

Quellen:

ZDF Hyoerland, Ich bin nicht bei Facebook. Oder doch?, http://blog.zdf.de/hyperland/2013/07/ich-bin-nicht-bei-facebook/

Packetstormsecurity, Facebook: Where Your Friends Are Your Worst Enemies,  http://packetstormsecurity.com/news/view/22713/Facebook-Where-Your-Friends-Are-Your-Worst-Enemies.html

Sex hilft bei Migräne

StimmtHaltNicht – „Schatz, heute nicht, ich habe Kopfschmerzen.“ Ist diese klischeehafte Ausrede vielleicht bald eher ein Argument für anstatt gegen Sex? Wohl eher nicht, denn die sexuelle Betätigung bei Migräne hilft längst nicht allen Betroffenen – anders, als so manche Medienberichterstattung derzeit verlauten lässt.

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Sex hilft bei Migräne: Google-Suche vom 27. Mai

Aber schauen wir uns die derzeit kursierenden Zahlen einmal genauer an. Soviel wir wissen, stammen die derzeit zitierten Daten aus einer Patientenbefragung, die im Rahmen einer Doktorarbeit an der Universität Münster durchgeführt wurde.

Demnach gaben 60 Prozent der Migränepatienten an, dass sich ihr Zustand durch Sex verbesserte, bei 33 Prozent verschlechterte sich der Zustand dagegen. Stark vereinfacht gerundet bedeutet dies: Wenn drei Personen mit Migräne Sex haben, fühlen sich zwei von ihnen danach besser, eine schlechter. Eine Chance von 2 : 1 mag bei dieser „Therapie“ ja noch verlockend klingen, aber sind die Daten auch verlässlich?

Wie  kommt die Studienautorin zu diesen Annahmen?

Für die Untersuchung wurden entsprechende Fragebögen an 800 Migränepatienten einer überregionalen Kopfschmerzambulanz verschickt – zurück kamen 304*. In diesen gab rund ein Drittel (34 Prozent) der Befragten an, während einer Kopfschmerzphase Erfahrungen mit sexueller Aktivität gemacht zu haben. Die obigen Aussagen beziehen sich somit auf die Angaben von 103 Migränepatienten.

Hier fragen wir uns, ob diese Zahlen auf die übrigen Betroffenen übertragbar sind. Ob etwa Migränepatienten, denen so übel ist, dass sie gar keine Lust auf Sex haben, in gleicher Weise profitieren würden. Das würden sie vermutlich nicht und das sagen auch die Studienautoren. Sie mutmaßen sogar, dass die erhaltenen Antworten möglicherweise nicht einmal repräsentativ für die kontaktierten Patienten sind. Im Klartext heißt das: „Der Zusammenhang zwischen Kopfschmerzen und sexueller Aktivität ist nicht so eindeutig, dass man jedem Kopfschmerz-Patienten zu ‚heilsamer sexueller Aktivität‘ raten könnte“.

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Sex bei Migräne? Nicht für alle eine befriedigende Lösung.

Und wer jetzt dennoch beim nächsten Migräneanfall des Partners auf diese heilsame Aktivität beharrt, dem sei noch eines gesagt: Die Art der sexuellen Betätigung hatte keinen Einfluss auf die Besserung der Migräne – es funktionierte auch bei sexuellen Aktivitäten ganz ohne Partner.

* Es wurden ebenfalls Patienten mit sogenannten Clusterkopfschmerzen untersucht. Die Ergebnisse hier waren ähnlich.

 Quellen:

PM Uni Münster „Sexuelle Aktivität kann gegen Migräne helfen: Doktorandin befragte 400 Patienten zu ihren Erfahrungen“, URL: http://campus.uni-muenster.de/campus-news.html?&newsid=1434&cHash=ea766a3c25e19e4530f0cf5d5bec0132

Sowie die dort verlinkten Paper:
Hambach, Anke et al. (2013): The impact of sexual activity on idiopathic headaches: An observational study. In: Cephalalgia. Published online before print February 19, 2013. (nur Abstract)
Hambach, Anke/Evers, Stefan/Frese, Achim (2013): Sexuelle Aktivität und Kopfschmerz: Auslöser oder Entlastung? In: Nervenheilkunde 3/2013.

 

Bildquelle: www.pixelio.de

„Natürliche Kräuter wie Lavendel, Hopfen oder Melisse können auf sanfte Art bei der Entspannung helfen.“

StimmtHaltNicht – Das Zitat ist Teil von acht Tipps für besseren Schlaf. Sie stammen vom Schlafmediziner Michael Feld. Auf diese Tipps sind wir im Vorbeilaufen gestoßen: Sie sind uns im Schaufenster eines Bettengeschäfts aufgefallen. Wir haben uns gleich gefragt, wie gut sie belegt sind – und haben uns das am Beispiel des Lavendels genauer angeschaut.

Unser Fazit: Für den Lavendel-Tipp wäre der Konjunktiv eher angebracht. Unter Umständen könnte Lavendel zur Entspannung beitragen. Die wissenschaftliche Datenlage ist aber eher durchwachsen: Die einen sagen so, die anderen so. Und ob es unangenehme Langzeitfolgen gibt, wenn man jede Nacht in einem Zimmer mit Lavendelduft schläft, ist nicht untersucht.

Wie kommen wir zu dieser Aussage? Den violetten Blüten des Lavendelstrauchs und dem daraus hergestellten Öl wird eine beruhigende Wirkung zugeschrieben. Das Herz schlägt ruhig und gleichmäßig, der entspannende Teil des Nervensystems, der Parasympathikus, übernimmt das Kommando, man fühlt sich entspannt. Soweit die Theorie.

Doch die Ergebnisse, die wir bei einer Recherche in medizinischen Datenbanken gefunden haben, sind eben ziemlich durchwachsen. So vermelden japanische Wissenschaftler einen entspannenderen Schlaf für Versuchspersonen, die in einem nach Lavendel duftenden Raum nächtigen. Klingt erst einmal gut. Der Haken an der Sache ist aber, dass die Schlafforscher ihre Hypothese nur an 15 Versuchspersonen testeten. Bei so niedrigen Zahlen können das aber auch Zufallsbefunde sein.

Iranische Forscher kommen zu dem Schluss, dass herzkranke Menschen im Krankenhaus besser schlafen, wenn sie ein Baumwolltuch mit zwei Tropfen Lavendelöl in der Nähe haben. In dieser Studie waren die Fallzahlen zwar höher. Allerdings erhielt die Lavendelgruppe zusätzliche Aufmerksamkeit vom Pflegepersonal, während die Vergleichsgruppe nur die normale Basispflege bekam. So lässt sich nicht ausschließen, dass die erhöhte Zuneigung in Wirklichkeit für die Unterschiede verantwortlich war.

Während diese Arbeiten aus Japan und Iran nur wenige Nächte dauerten, haben sich Fachleute aus Taiwan immerhin drei Monate der Beobachtung gegönnt. Eine Gruppe von Frauen zwischen 45 und 55 Jahren inhalierte zwei Mal pro Woche Lavendelduft, während einer zweite Gruppe Informationen zu gutem Schlaf vermittelt wurde. Alle Teilnehmerinnen litten an Schlafproblemen. Die Lavendelfrauen hatten kurzfristig eine geringe Herzschlagfrequenz und eine höhere Aktivierung des Parasympathikus, waren also entspannter. Langfristig zeigten sich allerdings keine nachhaltigen Unterschiede.

Die Psychologen Brian Hughes und Siobhan Howard von der National University of Ireland sind sich zudem sicher, dass ein Großteil der Entspannungseffekte von Lavendelduft auf entsprechende Erwartungen zurückgeht. Hughes und Howard zeigten das in einem Laborexperiment mit 96 Studentinnen. Nach einer anstrengenden Aufgabe erhielten die Teilnehmerinnen ein Placebo oder eine Form von Lavendelzubereitung*. Ergebnis: Entspannend wirkte beides – wenn die Studienleiter vorher eine entsprechende Erwartungshaltung aufgebaut hatten.

Was uns aufgefallen ist: Die Versuchspersonen und die Ziele der Behandlung mit Lavendelduft waren sehr unterschiedlich – junge Frauen, alte Frauen, gesunde Teilnehmer und kranke Teilnehmer, alles vertreten. Daraus lässt sich beim besten Willen keine pauschale Empfehlung ableiten: Was für jemanden mit Herzproblemen in einem iranischen Krankenhaus gut ist, muss es für einen Durschnittsschlaflosen in Deutschland noch lange nicht sein.

* Wir wissen nicht, was für eine Form von Lavendelzubereitung in der Studie von Hughes und Howard eingesetzt wurde.

Quellen:
Wie sind wir auf unsere Quellen gestoßen? Wir haben zuerst bei der Cochrane Library geschaut. Dort findet man oft umfangreiches Material. Zum Thema Lavendel und Schlaf waren allerdings keine Informationen vorhanden. Wir haben dann bei der Medizindatenbank Pubmed geschaut: Sie listet für diese Stichworte 32 Treffer; bei näherem Hinschauen waren viele aber für unsere Fragestellung nicht weiter interessant. Im Folgenden die Quellen, die wir intensiver berücksichtigt haben.

Hirokawa K, Nishimoto T, Taniguchi T. (2012). Effects of lavender aroma on sleep quality in healthy Japanese students. Percept Mot Skills, 114/1, S. 111-22 (Abstract)
Mahin Moeini et al. (2010). Effect of aromatherapy on the quality of sleep in ischemic heart disease patients hospitalized in intensive care units of heart hospitals of the Isfahan University of Medical Sciences. Iran J Nurs Midwifery Res, 15/4, S. 234–239 (Volltext)
Chien LW, Cheng SL, Liu CF (2012). The effect of lavender aromatherapy on autonomic nervous system in midlife women with insomnia. Evid Based Complement Alternat Med, online, doi: 10.1155/2012/740813 (Volltext)
Siobhán Howard, Brian M. Hughes (2008). Expectancies, not aroma, explain impact of lavender aromatherapy on psychophysiological indices of relaxation in young healthy women. British Journal of Health Psychology, 13/4, S. 603–617 (Abstract)

Statistik ist nicht alles …

… aber ohne Statistik ist alles nichts. Das gilt zumindest in den empirischen Wissenschaften. Warum Statistik so wichtig ist, zeigt eine am Donnerstag veröffentlichte Studie in Nature Reviews Neuroscience. Wissenschaftler um Marcus Munafò und Kate Button haben bei neurowissenschaftlichen Studien nachgerechnet. Sie finden: Aussagekräftig waren die Ergebnisse selten. Die statistische Power betrug meist nur um die 20 Prozent. Nur in einem von fünf Fällen haben die Hirnforscher Effekte also verlässlich gemessen, also weder untertrieben noch übertrieben. Wo kommen diese Verzerrungen her? Verantwortlich waren zu kleine Stichproben oder zu geringe Effekte bei der Untersuchung – oder beides.

Wie sind Munafò und Button vorgegangen? Sie haben sich 49 Metaanalysen angeschaut, die wiederum 730 einzelne neurowissenschaftliche Arbeiten enthielten. Wir schaffen es leider nicht, hier selbst ins Detail zu gehen, halten die Veröffentlichung aber für wichtig. Deshalb hier eine kleine Linkliste:

  • Katherine S. Button, Marcus R. Munafò et al. (2013). Power failure: why small sample size undermines the reliability of neuroscience, Nature Reviews Neuroscience, doi:10.1038/nrn3475 (Abstract)
  • Pressemitteilung zur Studie: Reliability of neuroscience research questioned (Link)
  • Der britische Blogger Ed Yong erklärt ausführlich, wo das Problem liegt: Neuroscience Cannae Do It Cap’n It Doesn’t Have the Power (Link)
  • Eine deutschsprachige Zusammenfassung gibt es bei der Süddeutschen: Verheerendes Zeugnis für die Hirnforschung, (Link)
  • Und dann haben wir noch diesen Blogbeitrag und diesen auch. Falls ihr ganz viel Zeit habt.

Ultimativer Tipp: Schwerer Rucksack als Diäthilfe

StimmtHaltNicht – Atkins, Low Carb oder Brigitte-Diät? Alles Geschichte! Wer heute abnehmen will, braucht nur ein paar Steine und einen Sack auf dem Rücken, denn: „Wer mit einem schweren Rucksack einkaufen geht, legt weniger Essen in den Einkaufswagen.“ Das haben anscheinend die Teufelskerle der Harvard University herausgefunden. In einem Experiment mit Studierenden passierte – Trommelwirbel – genau das: Trugen die Teilnehmer einen schweren Rucksack, kauften sie im Durchschnitt weniger und auch gesünderes Essen ein, fasst die Yahoo Science News Show (powered by der vielzitierten Fachzeitschrift Welt der Wunder) die Studie zusammen und resümiert: „Für die nächste Diät ist unser ultimativer Tipp also: Einfach einen schweren Rucksack beim Einkaufen aufsetzen.“

Diät durch einen schweren Rucksack

Mit viel Gepäck auf dem Rücken, kauft man gesünder ein, sagt die „Science Show“. Bild: Eva Künzel

Wow, danke dafür! Wir wollten uns schon bei den Harvard-Wissenschaftlern für diese ultimativen Erkenntnis bedanken. Fairerweise warfen wir zuvor noch einen Blick in die Originalstudie und stellten fest: Dass ein schwerer Rucksack beim Abnehmen hilft, steht da gar nicht drin. In der Studie von Forschern um die Harvard-Professorin Francesca Gino (hier ein nettes Video von ihr) wurden zwar Studierende mit aufgeschnalltem Rucksack untersucht, einkaufen ging sie damit ab nicht.*

Was wurde in der Studie untersucht?

Insgesamt 57 männliche Studierende wurden zufällig in zwei Gruppen geteilt. Eine Gruppe schulterte einen schweren Rucksack (rund 5 kg), die andere einen leichteren (rund 1 kg). Beide Gruppen nahmen an schriftlichen Tests und einer Umfrage teil. Anschließend wurde ihnen ein Snack als Dankeschön angeboten. Die Studierenden hatten die Wahl zwischen gesunden Früchten oder einer Tafel Schokolade. Von den Teilnehmern mit schwerem Rucksack entschieden sich rund 75 Prozent (21 von 27) für die Früchte. Von den Teilnehmern mit leichterem Gepäck waren es rund 50 Prozent (13 von 27). Drei Studierende fielen aus der Analyse raus, weil sie ihren Test nicht artig beendeten.

Aus diesen Erkenntnissen einen „ultimativen Diättipp“ abzuleiten und das Einkaufen mit schwerem Rucksack pauschal zu empfehlen finden wir – nun ja – etwas übereifrig. Wie man aufgrund dieser Studie zu Aussagen wie „Trugen die Teilnehmer während des Experiments einen schweren Rucksack, kauften sie im Durchschnitt weniger und auch gesünderes Essen ein“ kommt, ist uns vollkommen schleierhaft.

Quellen:

Wer sich die nette Zusammenfassung der Science News Show vom 1. März ansehen möchte, kann dies hier tun (ab 0:45 geht’s los): http://de.screen.yahoo.com/diese-m%C3%BCtter-sterben-fr%C3%BCher-184029982.html

Die Studie: Gino, F., M. Kouchaki, and A. Jami. „The Burden of Guilt: Heavy Backpacks, Light Snacks, and Enhanced Morality.“Journal of Experimental Psychology: General (forthcoming). URL: http://www.hbs.edu/faculty/Pages/item.aspx?num=44021. PDF: http://francescagino.com/pdfs/mkouchaki_et_al_jepg_2013.pdf

Das Kleingedruckte

Da die Yahoo Science News Show ihre Quellen nicht nennt, können wir natürlich nicht mit Gewissheit sagen, dass sie ihre Aussagen aufgrund dieser einen Studie trifft. Zeitpunk, Inhalte und Autoren lassen uns dies jedoch annehmen. Falls es noch andere Harvard-Veröffentlichungen zum Thema gibt, belehrt uns bitte. Kurz zur Studie: Eigentlich untersucht sie, inwieweit das Tragen eines schweren Rucksacks das empfinden von Schuld beeinflusst. Dazu machen die Autoren unterschiedliche Experimente. Eines untersucht, ob Studierende mit einem schweren Rucksack auf den Schultern mehr Schuld empfinden und daher gesündere Snacks (Früchte, eher unschuldig) ungesünderen (Schokolade, eher schuldig) vorziehen. Der Hintergrund der Untersuchung klingt in der Science News Show zwar an, richtig eingeordnet wird die Forschung aber nicht.

Süßstoffe lösen Hungerattacken aus

StimmtHaltNicht – Wer nach einem Diätpudding noch Hunger verspürt, sollte dafür nicht den Süßstoff im Pudding verantwortlich machen. Das sagt Andreas Fritsche von der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG).

Dass Süßstoffe nicht für vermehrten Heißhunger verantwortlich sind, ist zwar, wie wir nach kurzer Recherche gemerkt haben, eigentlich ein alter Hut. Aber in einer aktuellen Pressemitteilung erklärt es die DDG so gut, dass wir das Thema gerne noch mal aufnehmen.
Die Hungerattacken-Theorie geht so: Mensch isst Süßstoff. Der Körper denkt: Süßes? Das muss Zucker sein! Er schüttet das Hormon Insulin aus, um den Blutzuckerspiegel wieder zu senken. Im Tank ist aber Süßstoff, nicht Zucker. Um den Blutzuckerspiegel wieder auf Normalniveau zu bringen, bekommt Mensch jetzt wirklich Hunger.

Fritsche hält das für Unsinn: „Wenn überhaupt, vermittelt Insulin bei schlanken Menschen ein Sättigungssignal ans Gehirn.“ Dagegen sei das Gehirn von übergewichtigen Menschen wahrscheinlich unempfindlich gegenüber Insulin. Deshalb komme das Sättigungssignal möglicherweise nicht mehr im Gehirn an.

Und wo wir schon dabei sind:
•    Krebs bekommt man von den derzeit zugelassenen Süßstoffen auch nicht.
•    Das pflanzliche Süßungsmittel Stevia ist für Diabetiker nicht besser oder schlechter geeignet als andere Zuckerersatzstoffe. Stevia ist eine weitere Alternative zu Zucker, die keine Kalorien erhält, heißt es bei der DDG. Nicht mehr und nicht weniger (auch wenn das einige anders sehen, siehe Screenshot).

Screenshot Stevia

Screenshot: Fans lieben den Süßstoff Stevia

Quellen:
Pressemitteilung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG): http://idw-online.de/de/news520274
European Food Safety Authority, EFSA (2011): Revised exposure assessment for steviol glycosides for the proposed uses as a food additive (PDF)
Deutschsprachige Übersicht zu den Aktivitäten der EFSA: www.efsa.europa.eu/de/topics/topic/additives.htm?wtrl=01

Solariumbesuche beugen Vitamin-D-Mangel vor

StimmtHaltNicht – Gerade ist uns nicht viel Sonnenlicht vergönnt. Morgens gehen wir im Dunkeln aus dem Haus, abends ist vor der Dämmerung nicht an Feierabend zu denken. Umso ärgerlicher, wenn es dann auch noch tagsüber regnet und schneit.

In dieser lichtarmen Zeit trifft wenig Sonnenlicht auf unseren Körper. Die Haut produziert nur wenig Vitamin D. Das ist aber wichtig für eine ganze Reihe verschiedener Funktionen (mehr dazu hier). Grund genug für manche Schlaumeier, eifrig die Nutzung von Solarien zu empfehlen. Der menschliche Körper benötige jetzt eine Extraportion UV-Strahlung, um seinen Bedarf an Vitamin D zu decken. Ein besonders krasses Beispiel gibt es etwa hier.

StimmHaltNicht sagt das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS, www.bfs.de) in einer aktuellen Pressemitteilung*. „Kein Mensch sollte zur Vorbeugung eines Vitamin-D-Mangels ins Solarium gehen.“ Im Winter verbrauche der Körper zwar das gespeicherte Vitamin D. Wer sich im Sommer regelmäßig im Freien aufhält und sich ausgewogen ernährt, hat in der Regel jedoch ausreichend Reserven, so die Sicherheitsexperten.

Und viel mehr noch: Wer sich unters Solarium legt, hat mitunter bald ganz andere Probleme als einen Vitamin-D-Mangel: „Aktuellen Untersuchungen zufolge erhöht die Nutzung von Solarien das Risiko, an schwarzem Hautkrebs zu erkranken“, so das BfS. Das gelte insbesondere bei Personen unter 35. Für Kinder und Jugendliche sind Solarienbesuche deswegen gesetzlich verboten.

Auf dieser Sonnenbank hat selbst das BfS nichts gegen das Auffüllen der Vitamin-D-Akkus.

Quellen:

PM des BfS: www.bfs.de/de/bfs/presse/pr13/pm01.html
UV-Bündnis: www.bfs.de/de/uv/uv2/uv_buendnis.html
Informationen zu Hautkrebs: www.krebsinformationsdienst.de/tumorarten/weitere-tumorarten/hautkrebs.php**

Krasses Beispiel wie Solarien empfohlen werden: www.sonne-fuer-alle.de/fileadmin/download/Fleigende_Blaetter/Sonne_ist_gesund2.pdf

Anmerkungen:

* Die Pressemitteilung wurde gemeinsam mit der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft (DDG, www.derma.de) sowie dem Berufsverband der Deutschen Dermatologen (BVDD, www.uptoderm.de).
** Die beiden Autoren von StimmtHaltNicht haben mal für den Krebsinformationsdienst gearbeitet.

Mineralöl in Adventskalender-Schokolade macht Krebs

StimmtHaltNicht – Die große Medienwelle gegen das allmorgendliche Stück Schokolade in der Vorweihnachtszeit ist unbegründet: Das in einem Stück möglicherweise enthaltene Mineralöl ist im Verhältnis zur täglichen Gesamtaufnahme der sogenannten Kohlenwasserstoffgemische unerheblich. Das schrieb das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) am Dienstag auf seiner Website und reagiert damit auf eine Untersuchungen der Stiftung Warentest. Die Stiftung hatte in der Schokolade aus verschiedenen Adventskalendern Kohlenwasserstoffgemische nachgewiesen. Es folgte – wen wunderts – ein medialer Aufschrei.

Freilich, toll finden es auch die Sicherheitsexperten vom BfR nicht, wenn Schokolade mit Bestandteilen aus Mineralölen verunreinigt ist. Diese Kohlenwasserstoffgemische seien nicht ausreichend untersucht und so könne beispielsweise eine mögliche krebserzeugende Wirkung in Lebensmitteln nicht ausgeschlossen werden. In Beamtensprache schlussfolgern sie: Solch ein Übergang sei grundsätzlich unerwünscht und sollte vermieden werden.

ABER der Übergang von Mineralölbestandteilen aus Verpackungen von Recyclingkarton in Nahrungsmittel sei nicht überraschend, sondern sogar zu erwarten, so die Experten. Und selbst wenn man den „Worst Case“ annehme, ergebe sich durch das Essen von einem Stück Schokolade pro Tag ein nur „sehr geringer zusätzlicher Anteil“ zu der Menge an Mineralölen, die man ohnehin täglich durch die Nahrung aufnehme.

Wer sich also die Zeit bis Heilig Abend mit Kalender-Schoki verkürzen will, kann dies nach wie vor mit gutem Gewissen tun.

Google-News-Suche vom 27.11.2012: Panikmache durch Tatsachenbehauptungen

 

 

Bewertung von Stiftung Warentest: www.test.de/Adventskalender-mit-Schokoladenfuellung-Mineraloel-in-der-Schokolade-4471436-0/

Stellungnahme vom BfR: www.bfr.bund.de/de/mineraloelbestandteile
_in_schokolade_aus_adventskalendern-132163.html