StimmtHaltNicht – Es ist unklar, ob Senioren besonders von einer Grippeimpfung profitieren. Trotzdem werden sie jeden Herbst dazu aufgefordert. Ein Beispiel haben wir im Münchner Merkur vom 10. Oktober entdeckt – unter der Überschrift: „Darum lohnt sich Grippe-Impfung„.
Grippeimpfung: Der Hintergrund
Eine Grippeimpfung verringert die Wahrscheinlichkeit, an Grippe zu erkranken. (Überschriften wie „Ein Piks bewahrt vor Grippe“ sind deshalb Quatsch.) Ärzte empfehlen diesen Schutz für Menschen, die bei einer Ansteckung ein hohes Risiko für schwere Krankheitsverläufe haben. Weitgehend einig sind sich Fachleute, dass zum Beispiel Schwangere und Kinder einen Nutzen davon haben. Häufig wird auch Menschen ab 65 Jahren diese Impfung nahegelegt.
Ist Alter ein Risikofaktor?
Unklar ist aber, ob ein gesunder 70-Jähriger mehr davon hat, sich piksen zu lassen als ein gesunder 30-Jähriger. Zwar haben frühere Studien gezeigt, dass eine Immunisierung die Todesfälle unter Senioren verringern kann. Die Qualität dieser Arbeiten ist aus heutiger Sicht jedoch fraglich. Manche Experten vermuten zudem, bei Älteren sei die Antwort des Immunsystems auf die Impfung weniger ausgeprägt als bei jüngeren Menschen – und der Schutz deshalb geringer.
Was die Cochrane Collaboration meint
Wissenschaftler um den Epidemiologen Tom Jefferson haben im Auftrag der renommierten Cochrane Collaboration versucht, diese Frage zu beantworten. Sie werteten die Ergebnisse von 75 Studien aus. Dabei überprüften Jefferson und seine Kollegen nicht nur, ob eine Impfung grundsätzlich wirkt. Die Forscher wollten zudem wissen, ob immunisierte Senioren seltener unter schweren Krankheitsverläufen litten, seltener wegen Influenza im Krankenhaus behandelt wurden und seltener daran verstarben.
Uns zumindest haben die Ergebnisse überrascht: Demnach gab es zum Zeitpunkt von Jeffersons Untersuchung keine hochwertigen Studien, die Antwort auf diese Fragen liefern können.
Wie sinnvoll es ist, ältere Menschen ohne bekannte Risikofaktoren gegen Influenza zu impfen, weiß man also nicht mit letzter Sicherheit.
Quellen:
Mark Porter: Inside Health. BBC Radio 4, Podcast, 1. Oktober 2014 (Link)
Tom Jefferson et al. (2010). Vaccines for preventing influenza in the elderly. Cochrane Database of Systematic Reviews, Issue 2. DOI: 10.1002/14651858.CD004876.pub3. (Abstract)
Melinda Wenner Moyer (2012): Flu Shots May Not Protect the Elderly or the Very Young. Scientific American, online. (Link)
Gesundheitsinformation.de (2013). Wie viel Schutz bietet eine Grippeimpfung? (Link)
Update: Edda Grabar (@rabarg) hat uns über Twitter auf eine qualitativ hochwertige Studie aus den USA aufmerksam gemacht (http://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa1315727) über die auch das Ärzteblatt schreibt (http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/59755/Grippe-Hochdosierter-Impfstoff-bei-aelteren-Menschen-effektiver). In einer von der US-Arzneibehörde FDA initiierten Studie zeigte sich demnach ein hochdosierter Impfstoff bei älteren Menschen effektiver als konventionelle Impfstoffe: Eine von vier labormedizinisch bestätigten Influenza-Erkrankungen könnte anscheinend vermieden werden, wenn die Senioren den neuen hochdosierten anstelle des älteren Impfstoffes verwenden. Der neue Impfstoff ist in Europa bisher nicht zugelassen.
Interessant wäre nun eine Untersuchung, die den neuen Impfstoff nicht mit einem anderen Impfstoff, sondern einem Placebo vergleicht und etwa untersucht, ob die immunisierten Senioren seltener unter schweren Krankheitsverläufen leiden, seltener wegen der Erkrankung im Krankenhaus behandelt werden müssen und seltener daran sterben.