Archiv für den Monat: April 2013

„Natürliche Kräuter wie Lavendel, Hopfen oder Melisse können auf sanfte Art bei der Entspannung helfen.“

StimmtHaltNicht – Das Zitat ist Teil von acht Tipps für besseren Schlaf. Sie stammen vom Schlafmediziner Michael Feld. Auf diese Tipps sind wir im Vorbeilaufen gestoßen: Sie sind uns im Schaufenster eines Bettengeschäfts aufgefallen. Wir haben uns gleich gefragt, wie gut sie belegt sind – und haben uns das am Beispiel des Lavendels genauer angeschaut.

Unser Fazit: Für den Lavendel-Tipp wäre der Konjunktiv eher angebracht. Unter Umständen könnte Lavendel zur Entspannung beitragen. Die wissenschaftliche Datenlage ist aber eher durchwachsen: Die einen sagen so, die anderen so. Und ob es unangenehme Langzeitfolgen gibt, wenn man jede Nacht in einem Zimmer mit Lavendelduft schläft, ist nicht untersucht.

Wie kommen wir zu dieser Aussage? Den violetten Blüten des Lavendelstrauchs und dem daraus hergestellten Öl wird eine beruhigende Wirkung zugeschrieben. Das Herz schlägt ruhig und gleichmäßig, der entspannende Teil des Nervensystems, der Parasympathikus, übernimmt das Kommando, man fühlt sich entspannt. Soweit die Theorie.

Doch die Ergebnisse, die wir bei einer Recherche in medizinischen Datenbanken gefunden haben, sind eben ziemlich durchwachsen. So vermelden japanische Wissenschaftler einen entspannenderen Schlaf für Versuchspersonen, die in einem nach Lavendel duftenden Raum nächtigen. Klingt erst einmal gut. Der Haken an der Sache ist aber, dass die Schlafforscher ihre Hypothese nur an 15 Versuchspersonen testeten. Bei so niedrigen Zahlen können das aber auch Zufallsbefunde sein.

Iranische Forscher kommen zu dem Schluss, dass herzkranke Menschen im Krankenhaus besser schlafen, wenn sie ein Baumwolltuch mit zwei Tropfen Lavendelöl in der Nähe haben. In dieser Studie waren die Fallzahlen zwar höher. Allerdings erhielt die Lavendelgruppe zusätzliche Aufmerksamkeit vom Pflegepersonal, während die Vergleichsgruppe nur die normale Basispflege bekam. So lässt sich nicht ausschließen, dass die erhöhte Zuneigung in Wirklichkeit für die Unterschiede verantwortlich war.

Während diese Arbeiten aus Japan und Iran nur wenige Nächte dauerten, haben sich Fachleute aus Taiwan immerhin drei Monate der Beobachtung gegönnt. Eine Gruppe von Frauen zwischen 45 und 55 Jahren inhalierte zwei Mal pro Woche Lavendelduft, während einer zweite Gruppe Informationen zu gutem Schlaf vermittelt wurde. Alle Teilnehmerinnen litten an Schlafproblemen. Die Lavendelfrauen hatten kurzfristig eine geringe Herzschlagfrequenz und eine höhere Aktivierung des Parasympathikus, waren also entspannter. Langfristig zeigten sich allerdings keine nachhaltigen Unterschiede.

Die Psychologen Brian Hughes und Siobhan Howard von der National University of Ireland sind sich zudem sicher, dass ein Großteil der Entspannungseffekte von Lavendelduft auf entsprechende Erwartungen zurückgeht. Hughes und Howard zeigten das in einem Laborexperiment mit 96 Studentinnen. Nach einer anstrengenden Aufgabe erhielten die Teilnehmerinnen ein Placebo oder eine Form von Lavendelzubereitung*. Ergebnis: Entspannend wirkte beides – wenn die Studienleiter vorher eine entsprechende Erwartungshaltung aufgebaut hatten.

Was uns aufgefallen ist: Die Versuchspersonen und die Ziele der Behandlung mit Lavendelduft waren sehr unterschiedlich – junge Frauen, alte Frauen, gesunde Teilnehmer und kranke Teilnehmer, alles vertreten. Daraus lässt sich beim besten Willen keine pauschale Empfehlung ableiten: Was für jemanden mit Herzproblemen in einem iranischen Krankenhaus gut ist, muss es für einen Durschnittsschlaflosen in Deutschland noch lange nicht sein.

* Wir wissen nicht, was für eine Form von Lavendelzubereitung in der Studie von Hughes und Howard eingesetzt wurde.

Quellen:
Wie sind wir auf unsere Quellen gestoßen? Wir haben zuerst bei der Cochrane Library geschaut. Dort findet man oft umfangreiches Material. Zum Thema Lavendel und Schlaf waren allerdings keine Informationen vorhanden. Wir haben dann bei der Medizindatenbank Pubmed geschaut: Sie listet für diese Stichworte 32 Treffer; bei näherem Hinschauen waren viele aber für unsere Fragestellung nicht weiter interessant. Im Folgenden die Quellen, die wir intensiver berücksichtigt haben.

Hirokawa K, Nishimoto T, Taniguchi T. (2012). Effects of lavender aroma on sleep quality in healthy Japanese students. Percept Mot Skills, 114/1, S. 111-22 (Abstract)
Mahin Moeini et al. (2010). Effect of aromatherapy on the quality of sleep in ischemic heart disease patients hospitalized in intensive care units of heart hospitals of the Isfahan University of Medical Sciences. Iran J Nurs Midwifery Res, 15/4, S. 234–239 (Volltext)
Chien LW, Cheng SL, Liu CF (2012). The effect of lavender aromatherapy on autonomic nervous system in midlife women with insomnia. Evid Based Complement Alternat Med, online, doi: 10.1155/2012/740813 (Volltext)
Siobhán Howard, Brian M. Hughes (2008). Expectancies, not aroma, explain impact of lavender aromatherapy on psychophysiological indices of relaxation in young healthy women. British Journal of Health Psychology, 13/4, S. 603–617 (Abstract)

Stress ist schlecht

Eichhörnchenmutter trägt Baby. Bild: Ryan W. Taylor

Eichhörnchenmutter trägt Baby. Bild: Ryan W. Taylor

StimmtHaltNicht – Zumindest nicht für Eichhörnchen. Stressgeplagte Mütter haben robusteren Nachwuchs. Kandadische Biologen um Ben Dantzer haben das ermittelt. Dantzer zufolge ist der Mechanismus etwa folgender: Wenn viele Eichhörnchen auf engem Raum leben, wird das Überleben für jeden einzelnen Nager schwieriger. Die Eichhörnchenmütter reagieren auf die Rufe, die sie von anderen Eichhörnchen hören, indem sie vermehrt Stresshormone produzieren. Diese wiederum sorgen dafür, dass ihre eigenen Kinder nach der Geburt schneller wachsen und sich ihren Platz im Territorium erkämpfen können.

Aber wir geben gerne zu: Eigentlich haben wir nur einen Grund gesucht, um dieses Eichhörnchen-Bild zu posten. Demnächst dann wieder mehr Ernsthaftigkeit, versprochen.

Quelle: Ben Dantzer et al. (2013). Density Triggers Maternal Hormones That Increase Adaptive Offspring Growth in a Wild Mammal. Science, online vor print. (Abstract)
Pressmitteilung der University of Guelph: Stress is good thing for parents, babies in squirrel world (Link)

Capri-Sonne ist empfehlenswertes für Kinder

StimmtHaltNicht – In dem berühmten Beutel mit Organgenlimonade steckt ungefähr so viel Zucker wie in Coca Cola. Das sagen die Verbraucherschützer von Foodwatch. Zusammen mit vier weiteren Lebensmitteln hat Foodwatch Capri-Sonne daher für den Goldenen Windbeutel 2013 nominiert. Ebenfalls nominiert sind:

  • Monsterbacke Knister von Ehrmann
  • Pom-Bär von funny-frisch/Intersnack
  • Kosmostars von Nestlé
  • Paula von Dr. Oetker

Mit dem Preis kürt Foodwatch die dreisteste Werbemasche des Jahres bei einem Kinderprodukt. Der Verein will dadurch auf die Verantwortung der Lebensmittelindustrie hinweisen, die zum Teil mit „perfiden Marketing-Strategien“ versuchen, Kinder mit ungesunden Produkten „anzufixen“.

Eigentlich nichts Neues, finden wir. Uns fallen auf Anhieb auch ein paar andere „Snacks“ für Kinder ein, die zum Beispiel viel „gesunde Milch“ enthalten oder gleich ein ganzen Frühstück ersetzen sollen. Dass der Goldene Windbeutel allerdings tatsächlich etwas bewegen kann, zeigt das vergangene Jahr: Wie SpiegelOnline berichtet, nahm Hipp damals „seinen Instant-Tee für Kinder vom Markt, nachdem das Zuckergetränk den Goldenen Windbeutel gewonnen hatte, Nestlé reduzierte den Zuckergehalt einiger Kinder-Frühstücksflocken.“ Wem das als Grund genügt, der kann hier abstimmen.

Wer solls werden? Fünf Produkte stehen für den goldenen Windbeutel 2013 zur Auswahl.

Wer solls werden? Fünf Produkte stehen für den Goldenen Windbeutel 2013 zur Auswahl. Quelle: Foodwatch

 

Quellen

Foodwatch: www.goldener-windbeutel.de/die_wahl/index_ger.htmlhttp://www.foodwatch.org/de/presse/downloads/

SpiegelOnline: http://www.spiegel.de/wirtschaft/service/foodwatch-kuert-dreisteste-werbemasche-fuer-kinderlebensmittel-a-894970.html

Statistik ist nicht alles …

… aber ohne Statistik ist alles nichts. Das gilt zumindest in den empirischen Wissenschaften. Warum Statistik so wichtig ist, zeigt eine am Donnerstag veröffentlichte Studie in Nature Reviews Neuroscience. Wissenschaftler um Marcus Munafò und Kate Button haben bei neurowissenschaftlichen Studien nachgerechnet. Sie finden: Aussagekräftig waren die Ergebnisse selten. Die statistische Power betrug meist nur um die 20 Prozent. Nur in einem von fünf Fällen haben die Hirnforscher Effekte also verlässlich gemessen, also weder untertrieben noch übertrieben. Wo kommen diese Verzerrungen her? Verantwortlich waren zu kleine Stichproben oder zu geringe Effekte bei der Untersuchung – oder beides.

Wie sind Munafò und Button vorgegangen? Sie haben sich 49 Metaanalysen angeschaut, die wiederum 730 einzelne neurowissenschaftliche Arbeiten enthielten. Wir schaffen es leider nicht, hier selbst ins Detail zu gehen, halten die Veröffentlichung aber für wichtig. Deshalb hier eine kleine Linkliste:

  • Katherine S. Button, Marcus R. Munafò et al. (2013). Power failure: why small sample size undermines the reliability of neuroscience, Nature Reviews Neuroscience, doi:10.1038/nrn3475 (Abstract)
  • Pressemitteilung zur Studie: Reliability of neuroscience research questioned (Link)
  • Der britische Blogger Ed Yong erklärt ausführlich, wo das Problem liegt: Neuroscience Cannae Do It Cap’n It Doesn’t Have the Power (Link)
  • Eine deutschsprachige Zusammenfassung gibt es bei der Süddeutschen: Verheerendes Zeugnis für die Hirnforschung, (Link)
  • Und dann haben wir noch diesen Blogbeitrag und diesen auch. Falls ihr ganz viel Zeit habt.

Ultimativer Tipp: Schwerer Rucksack als Diäthilfe

StimmtHaltNicht – Atkins, Low Carb oder Brigitte-Diät? Alles Geschichte! Wer heute abnehmen will, braucht nur ein paar Steine und einen Sack auf dem Rücken, denn: „Wer mit einem schweren Rucksack einkaufen geht, legt weniger Essen in den Einkaufswagen.“ Das haben anscheinend die Teufelskerle der Harvard University herausgefunden. In einem Experiment mit Studierenden passierte – Trommelwirbel – genau das: Trugen die Teilnehmer einen schweren Rucksack, kauften sie im Durchschnitt weniger und auch gesünderes Essen ein, fasst die Yahoo Science News Show (powered by der vielzitierten Fachzeitschrift Welt der Wunder) die Studie zusammen und resümiert: „Für die nächste Diät ist unser ultimativer Tipp also: Einfach einen schweren Rucksack beim Einkaufen aufsetzen.“

Diät durch einen schweren Rucksack

Mit viel Gepäck auf dem Rücken, kauft man gesünder ein, sagt die „Science Show“. Bild: Eva Künzel

Wow, danke dafür! Wir wollten uns schon bei den Harvard-Wissenschaftlern für diese ultimativen Erkenntnis bedanken. Fairerweise warfen wir zuvor noch einen Blick in die Originalstudie und stellten fest: Dass ein schwerer Rucksack beim Abnehmen hilft, steht da gar nicht drin. In der Studie von Forschern um die Harvard-Professorin Francesca Gino (hier ein nettes Video von ihr) wurden zwar Studierende mit aufgeschnalltem Rucksack untersucht, einkaufen ging sie damit ab nicht.*

Was wurde in der Studie untersucht?

Insgesamt 57 männliche Studierende wurden zufällig in zwei Gruppen geteilt. Eine Gruppe schulterte einen schweren Rucksack (rund 5 kg), die andere einen leichteren (rund 1 kg). Beide Gruppen nahmen an schriftlichen Tests und einer Umfrage teil. Anschließend wurde ihnen ein Snack als Dankeschön angeboten. Die Studierenden hatten die Wahl zwischen gesunden Früchten oder einer Tafel Schokolade. Von den Teilnehmern mit schwerem Rucksack entschieden sich rund 75 Prozent (21 von 27) für die Früchte. Von den Teilnehmern mit leichterem Gepäck waren es rund 50 Prozent (13 von 27). Drei Studierende fielen aus der Analyse raus, weil sie ihren Test nicht artig beendeten.

Aus diesen Erkenntnissen einen „ultimativen Diättipp“ abzuleiten und das Einkaufen mit schwerem Rucksack pauschal zu empfehlen finden wir – nun ja – etwas übereifrig. Wie man aufgrund dieser Studie zu Aussagen wie „Trugen die Teilnehmer während des Experiments einen schweren Rucksack, kauften sie im Durchschnitt weniger und auch gesünderes Essen ein“ kommt, ist uns vollkommen schleierhaft.

Quellen:

Wer sich die nette Zusammenfassung der Science News Show vom 1. März ansehen möchte, kann dies hier tun (ab 0:45 geht’s los): http://de.screen.yahoo.com/diese-m%C3%BCtter-sterben-fr%C3%BCher-184029982.html

Die Studie: Gino, F., M. Kouchaki, and A. Jami. „The Burden of Guilt: Heavy Backpacks, Light Snacks, and Enhanced Morality.“Journal of Experimental Psychology: General (forthcoming). URL: http://www.hbs.edu/faculty/Pages/item.aspx?num=44021. PDF: http://francescagino.com/pdfs/mkouchaki_et_al_jepg_2013.pdf

Das Kleingedruckte

Da die Yahoo Science News Show ihre Quellen nicht nennt, können wir natürlich nicht mit Gewissheit sagen, dass sie ihre Aussagen aufgrund dieser einen Studie trifft. Zeitpunk, Inhalte und Autoren lassen uns dies jedoch annehmen. Falls es noch andere Harvard-Veröffentlichungen zum Thema gibt, belehrt uns bitte. Kurz zur Studie: Eigentlich untersucht sie, inwieweit das Tragen eines schweren Rucksacks das empfinden von Schuld beeinflusst. Dazu machen die Autoren unterschiedliche Experimente. Eines untersucht, ob Studierende mit einem schweren Rucksack auf den Schultern mehr Schuld empfinden und daher gesündere Snacks (Früchte, eher unschuldig) ungesünderen (Schokolade, eher schuldig) vorziehen. Der Hintergrund der Untersuchung klingt in der Science News Show zwar an, richtig eingeordnet wird die Forschung aber nicht.