Archiv für den Monat: Mai 2013

Sex hilft bei Migräne

StimmtHaltNicht – „Schatz, heute nicht, ich habe Kopfschmerzen.“ Ist diese klischeehafte Ausrede vielleicht bald eher ein Argument für anstatt gegen Sex? Wohl eher nicht, denn die sexuelle Betätigung bei Migräne hilft längst nicht allen Betroffenen – anders, als so manche Medienberichterstattung derzeit verlauten lässt.

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Sex hilft bei Migräne: Google-Suche vom 27. Mai

Aber schauen wir uns die derzeit kursierenden Zahlen einmal genauer an. Soviel wir wissen, stammen die derzeit zitierten Daten aus einer Patientenbefragung, die im Rahmen einer Doktorarbeit an der Universität Münster durchgeführt wurde.

Demnach gaben 60 Prozent der Migränepatienten an, dass sich ihr Zustand durch Sex verbesserte, bei 33 Prozent verschlechterte sich der Zustand dagegen. Stark vereinfacht gerundet bedeutet dies: Wenn drei Personen mit Migräne Sex haben, fühlen sich zwei von ihnen danach besser, eine schlechter. Eine Chance von 2 : 1 mag bei dieser „Therapie“ ja noch verlockend klingen, aber sind die Daten auch verlässlich?

Wie  kommt die Studienautorin zu diesen Annahmen?

Für die Untersuchung wurden entsprechende Fragebögen an 800 Migränepatienten einer überregionalen Kopfschmerzambulanz verschickt – zurück kamen 304*. In diesen gab rund ein Drittel (34 Prozent) der Befragten an, während einer Kopfschmerzphase Erfahrungen mit sexueller Aktivität gemacht zu haben. Die obigen Aussagen beziehen sich somit auf die Angaben von 103 Migränepatienten.

Hier fragen wir uns, ob diese Zahlen auf die übrigen Betroffenen übertragbar sind. Ob etwa Migränepatienten, denen so übel ist, dass sie gar keine Lust auf Sex haben, in gleicher Weise profitieren würden. Das würden sie vermutlich nicht und das sagen auch die Studienautoren. Sie mutmaßen sogar, dass die erhaltenen Antworten möglicherweise nicht einmal repräsentativ für die kontaktierten Patienten sind. Im Klartext heißt das: „Der Zusammenhang zwischen Kopfschmerzen und sexueller Aktivität ist nicht so eindeutig, dass man jedem Kopfschmerz-Patienten zu ‚heilsamer sexueller Aktivität‘ raten könnte“.

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Sex bei Migräne? Nicht für alle eine befriedigende Lösung.

Und wer jetzt dennoch beim nächsten Migräneanfall des Partners auf diese heilsame Aktivität beharrt, dem sei noch eines gesagt: Die Art der sexuellen Betätigung hatte keinen Einfluss auf die Besserung der Migräne – es funktionierte auch bei sexuellen Aktivitäten ganz ohne Partner.

* Es wurden ebenfalls Patienten mit sogenannten Clusterkopfschmerzen untersucht. Die Ergebnisse hier waren ähnlich.

 Quellen:

PM Uni Münster „Sexuelle Aktivität kann gegen Migräne helfen: Doktorandin befragte 400 Patienten zu ihren Erfahrungen“, URL: http://campus.uni-muenster.de/campus-news.html?&newsid=1434&cHash=ea766a3c25e19e4530f0cf5d5bec0132

Sowie die dort verlinkten Paper:
Hambach, Anke et al. (2013): The impact of sexual activity on idiopathic headaches: An observational study. In: Cephalalgia. Published online before print February 19, 2013. (nur Abstract)
Hambach, Anke/Evers, Stefan/Frese, Achim (2013): Sexuelle Aktivität und Kopfschmerz: Auslöser oder Entlastung? In: Nervenheilkunde 3/2013.

 

Bildquelle: www.pixelio.de

„Jolies Operation ist […] eine Panikhandlung“

Die Schauspielerin Angelina Jolie hat sich beide Brüste entfernen lassen. Sie will so Brustkrebs vorbeugen. Jolie hat das vor wenigen Tagen öffentlich verkündet. Darüber haben Medien auf der ganzen Welt berichtet. Auch die Feministin Alice Schwarzer hat eine Meinung dazu. Sie schreibt im Blog der Zeitschrift Emma:

„Nicht nur [Jolies] […] geliebte Mutter starb mit 56 an Brustkrebs, auch sie selbst trägt das Brustkrebsgen BRCA1 in sich. Laut Experten erhöht das das Risiko zu erkranken um 60 bis 90 Prozent. Doch lässt sich ein solches Problem mit dem Messer lösen? Kann ein Mensch Körperteile, die bedroht sein könnten, einfach abschneiden und bleibt dann gesund zurück? Gewiss nicht. Ein so entfremdetes, mechanisches Verhältnis zum eigenen Körper trägt dem komplexen Zusammenspiel eines Körpers inklusive der Rolle psychischer Einflüsse kaum Rechnung. Jolies Operation ist also weder mutig noch feige, sie ist eine Panikhandlung.“

Schwarzers Meinung bleibt ihr unbenommen. Einige Fakten sind aber in unseren Augen falsch oder missverständlich wiedergegeben. Wir helfen gerne weiter:

  • Angelina Jolies Brustkrebsrisiko ist nicht erhöht, weil sie das Brustkrebsgen BRCA1 trägt. Ihr Risiko ist, kleiner aber feiner Unterschied, erhöht, weil sie eine mutierte Version dieses Gens von ihrer Mutter geerbt hat. Das passiert relativ selten. Etwa eine von 500 Frauen trägt eine solche veränderte BRCA1-Variante. Manche Quellen gehen davon aus, dass dies noch seltener vorkommt.
  • Angelina Jolie selbst gibt ihr ursprüngliches Brustkrebsrisiko mit 87 Prozent an. Gemeint ist damit, dass sie mit eben dieser Wahrscheinlichkeit irgendwann in ihrem Leben an Brustkrebs erkrankt wäre, hätte sie sich nicht für eine sogenannte Mastektomie entschieden. Jolie sagt, die Operationen hätten ihr Brustkrebsrisiko auf unter fünf Prozent gesenkt. Dass trotzdem ein Restrisiko bleibt, liegt daran, dass Ärzte das Gewebe nie vollständig entfernen können.
  • Entfremdetes, mechanisches Körperverständnis, psychische Faktoren? Wir wissen nicht genau, was Alice Schwarzer damit meint. Wir vermuten, sie meint: Angelina Jolies
    Die Schauspielerin Angelina Jolie, Mikhail Popov (Михаил Попов, http://thebestphotos.ru/)

    Angelina Jolie, 2010 in Moskau. Bild: Mikhail Popov (Михаил Попов, http://thebestphotos.ru/) via Wikipedia

    Brustkrebsrisiko wäre auch gesunken, wenn sie irgendwie psychisch mehr mit sich im Reinen wäre. Das würde so allerdings nicht stimmen. Psychologen weisen schon länger darauf hin, dass die Vorstellung einer sogenannten Krebspersönlichkeit der Realität kaum entspricht. Der Mensch ist, und da hat Alice Schwarzer recht, nämlich verdammt kompliziert. Und so etwas komplexes wie den Einfluss der Seele auf die Krebsentstehung hat noch niemand nachvollziehbar nachgewiesen (außer, die Seele sagt: Trink wie ein Loch und rauch wie ein Schlot, aber das wäre eine andere Geschichte).

Wer sich intensiver mit dem Thema befassen möchte, dem empfehlen wir folgende Internetseiten:
Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums, www.krebsinformationsdienst.de/vorbeugung/risiken/brustkrebsrisiko-mai2013.php und www.krebsinformationsdienst.de/leben/krankheitsverarbeitung/psyche-und-krebsrisiko.php
BBC Radio 4, More or Less: Angelina Jolie’s 87% cancer risk; Romanian crime stats (Sendung vom 17. Mai 2013, Podcast: www.bbc.co.uk/programmes/b01sdw2d)
Nachtrag, 21. Mai 2013: Bei Medizin-Transparent gibt es eine umfangreiche Analyse zu den bisher bekannten Fakten zur vorbeugenden Brustentfernung: www.medizin-transparent.at/das-paradox-der-brustentfernung

Cranberry-Produkte und Blasenentzündungen

Im Oktober hatten wir über Cranberry-Produkte und ihren angeblichen Schutz vor einer Blasenentzündung berichtet. Dass ein paar Schlucke des Saftes entsprechend wirken, wurde zwar immer wieder behauptet, aber es StimmtHaltNicht.

Das Thema haben jetzt auch die Gesundheitsexperten des IQWiGs in ihrem aktuellen Newsletter noch einmal aufgegriffen. Ihr Beitrag Blasenentzündung: Können Cranberry-Produkte vorbeugen? ist etwas ausführlicher und verweist zudem auf das Merkblatt: Blasenentzündungen bei Frauen. Schaut’s Euch an…

Cranberry-Ernte

Cranberry-Ernte, Bild von Keith Weller, USDA-ARS [Public domain], via Wikimedia Commons