Die Schauspielerin Angelina Jolie hat sich beide Brüste entfernen lassen. Sie will so Brustkrebs vorbeugen. Jolie hat das vor wenigen Tagen öffentlich verkündet. Darüber haben Medien auf der ganzen Welt berichtet. Auch die Feministin Alice Schwarzer hat eine Meinung dazu. Sie schreibt im Blog der Zeitschrift Emma:
„Nicht nur [Jolies] […] geliebte Mutter starb mit 56 an Brustkrebs, auch sie selbst trägt das Brustkrebsgen BRCA1 in sich. Laut Experten erhöht das das Risiko zu erkranken um 60 bis 90 Prozent. Doch lässt sich ein solches Problem mit dem Messer lösen? Kann ein Mensch Körperteile, die bedroht sein könnten, einfach abschneiden und bleibt dann gesund zurück? Gewiss nicht. Ein so entfremdetes, mechanisches Verhältnis zum eigenen Körper trägt dem komplexen Zusammenspiel eines Körpers inklusive der Rolle psychischer Einflüsse kaum Rechnung. Jolies Operation ist also weder mutig noch feige, sie ist eine Panikhandlung.“
Schwarzers Meinung bleibt ihr unbenommen. Einige Fakten sind aber in unseren Augen falsch oder missverständlich wiedergegeben. Wir helfen gerne weiter:
- Angelina Jolies Brustkrebsrisiko ist nicht erhöht, weil sie das Brustkrebsgen BRCA1 trägt. Ihr Risiko ist, kleiner aber feiner Unterschied, erhöht, weil sie eine mutierte Version dieses Gens von ihrer Mutter geerbt hat. Das passiert relativ selten. Etwa eine von 500 Frauen trägt eine solche veränderte BRCA1-Variante. Manche Quellen gehen davon aus, dass dies noch seltener vorkommt.
- Angelina Jolie selbst gibt ihr ursprüngliches Brustkrebsrisiko mit 87 Prozent an. Gemeint ist damit, dass sie mit eben dieser Wahrscheinlichkeit irgendwann in ihrem Leben an Brustkrebs erkrankt wäre, hätte sie sich nicht für eine sogenannte Mastektomie entschieden. Jolie sagt, die Operationen hätten ihr Brustkrebsrisiko auf unter fünf Prozent gesenkt. Dass trotzdem ein Restrisiko bleibt, liegt daran, dass Ärzte das Gewebe nie vollständig entfernen können.
- Entfremdetes, mechanisches Körperverständnis, psychische Faktoren? Wir wissen nicht genau, was Alice Schwarzer damit meint. Wir vermuten, sie meint: Angelina Jolies
Brustkrebsrisiko wäre auch gesunken, wenn sie irgendwie psychisch mehr mit sich im Reinen wäre. Das würde so allerdings nicht stimmen. Psychologen weisen schon länger darauf hin, dass die Vorstellung einer sogenannten Krebspersönlichkeit der Realität kaum entspricht. Der Mensch ist, und da hat Alice Schwarzer recht, nämlich verdammt kompliziert. Und so etwas komplexes wie den Einfluss der Seele auf die Krebsentstehung hat noch niemand nachvollziehbar nachgewiesen (außer, die Seele sagt: Trink wie ein Loch und rauch wie ein Schlot, aber das wäre eine andere Geschichte).
Wer sich intensiver mit dem Thema befassen möchte, dem empfehlen wir folgende Internetseiten:
Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums, www.krebsinformationsdienst.de/vorbeugung/risiken/brustkrebsrisiko-mai2013.php und www.krebsinformationsdienst.de/leben/krankheitsverarbeitung/psyche-und-krebsrisiko.php
BBC Radio 4, More or Less: Angelina Jolie’s 87% cancer risk; Romanian crime stats (Sendung vom 17. Mai 2013, Podcast: www.bbc.co.uk/programmes/b01sdw2d)
Nachtrag, 21. Mai 2013: Bei Medizin-Transparent gibt es eine umfangreiche Analyse zu den bisher bekannten Fakten zur vorbeugenden Brustentfernung: www.medizin-transparent.at/das-paradox-der-brustentfernung
Ich habe jetzt mehrere Kommentare in Zeitungen und im Internet gelesen, darunter auch einige differenzierte. Alice Schwarzers Kommentar gehört gewiss nicht dazu, allerdings finde ich, dass ihr ihn überinterpretiert. Alice Schwarzer ist keine Eso-Tante, und von einem Zusammenspiel zwischen Körper und Seele überzeugt sein heißt nicht, dass man denen, die krank werden, die Schuld an ihrer Krankheit gibt (wie es leider tatsächlich viele Menschen aus der Eso-Szene tun.)
Ich erinnere mich noch, wie ich als junge Frau Artikel in der Emma gelesen habe, die sich dagegen wandten, dass Ärzte ziemlich leichtfertig Frauen die Gebärmutter oder die Eierstöcke entfernten, wenn diese die Wechseljahre erreicht hatten, nach dem Motto „brauchen sie ja doch nicht mehr“, und dabei auch das komplexe Wechselspiel auch der verschiedenen Körperteile und Organe untereinander übersahen.
Die Artikel, die ich gut fand, wiesen auf die beiden Alternativen hin, die es gibt: Vorsorgliche Mastektomie, und verstärkte Vorsorgeuntersuchungen. Ich glaube, jede Frau sollte selbst entscheiden, wie es ihr geht. Der einen mag es besser gehen (eben auch psychisch), wenn sie die Angst los ist, der anderen mag es besser gehen, wenn sie abwartet, bis der Krebs tatsächlich auftaucht. Was ich an Angelina Jolies Handlungen problematisch fand, war, wie sie sich selbst als Vorbild hinstellte.
Liebe Susanna,
wir haben uns sehr über deinen Kommentar gefreut. Wahrscheinlich sehen wir die Dinge insgesamt auch ziemlich ähnlich. Über die kleinen Ungenauigkeiten in diesem Emma-Blogpost sind sind wir uns wohl auch einig.
Wie du schon sagst: Vielleicht interpretieren wir Alice Schwarzer über. Aber ihr Kommentar hat eben auch logische Sollbruchstellen, die sich schwer verstehen lassen. Deshalb erschien es uns verhältnismäßig plausibel zu sein, dass Alice Schwarzer in irgendeiner Weise auf die Krebspersönlichkeit hinauswill. Schließlich sagt sie, wer sich bedrohte Körperteile entfernen lasse, bleibe „gewiss nicht“ gesund zurück, und einen Halbsatz später betont sie die dafür verantwortlichen „psychischen Einflüsse“.
Angeregt durch deinen Kommentar haben wir noch einmal nachgedacht: Klar, vielleicht meint Alice Schwarzer auch, dass die psychische Belastung einer Mastektomie immer berücksichtigt werden sollte – und dass Frauen, die eine mutierte BRAC-Variante tragen, das benken sollten. Ohne uns herausreden zu wollen: Das hätte sie als erfahrene Journalistin dann doch auch so sagen dürfen. (Wobei uns dann natürlich dein netter Kommentar entgangen wäre.)
Beste Grüße!