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Softdrinks wie Cola machen unglücklich

StimmtHaltNicht. Die Yahoo Science News Show will uns einreden, dass Softdrinks traurig machen. Die Studie, auf die sich die Yahoo-Journalisten berufen, belegt das aber nicht.
Die Yahoo-Meldung dauert eine halbe Minute. In dieser Zeit haben wir keinen Satz gehört, der sich durch die Quelle belegen lässt.

Der Einfachheit halber hier noch einmal die wichtigsten Aussagen von Yahoo:

  • „Cola macht unglücklich. Zuckerhaltige Softdrinks wie Cola machen unglücklich. Das zeigt eine Langzeitstudie des amerikanischen Institute of Environmental Health Sciences.“
  • „Bereits vier Softdrinkdosen am Tag können das Risiko, an einer Depression zu erkranken, um bis zu 30 Prozent erhöhen.“
  • „Dabei ist es egal, ob es sich um Light- oder um normale Produkte handelt. Die Wissenschaftler vermuten, dass sich künstliche Süßstoffe wie Aspartam negativ auf unsere Gemütslage auswirken und uns unglücklich machen.“

Ausgangspunkt des Videos und somit Grundlage der Aussagen ist anscheinend diese Pressemitteilung der American Academy of Neurology vom 8. Januar 2013: „Hold the Diet Soda? Sweetened Drinks Linked to Depression, Coffee Tied to Lower Risk„.

Wie wir der Pressemitteilung entnehmen, haben die amerikanischen Wissenschaftler um Honglei Chen jedoch nicht herausgefunden, dass Cola unglücklich macht. Das lässt sich mit dem Verfahren, das Chen und Kollegen angewendet haben, auch gar nicht ermitteln. Aussagen zu Ursache (Cola?) und Wirkung (Depression?) sind spekulativ.

Was haben die Forscher stattdessen herausgefunden? Sie haben von 1995 bis 1996 die Trinkgewohnheiten von Versuchspersonen ermittelt. Etwa zehn Jahre später fragten die Wissenschaftler die Zahl der Depressionsdiagnosen ab. Dann verglichen sie ihre Datensätze miteinander. Chen und Kollegen erkannten: Wer viele Softdrinks trinkt, erhält öfter eine Depressionsdiagnose. Das ist aber kein Beleg dafür, dass Cola zu Depressionen führt. Möglicherweise schmeckt traurigen, niedergeschlagenen Menschen süße Brause einfach besser als anderen.

Um die Frage nach Ursache und Wirkung zu beantworten, müsste man mehr über die Versuchspersonen wissen. Denn: Haben die Colatrinker zum Beispiel schon früher vermehrt depressive Episoden durchlebt, würde das das Ergebnis verzerren. Denn wer einmal eine Depression hatte, hat eine höhere Chance, wieder zu erkranken. Leider ist die Originalstudie jedoch noch nicht veröffentlicht, sodass wir schlicht nicht wissen, was Chen und Kollegen erhoben haben.

Wie kommt man zu stichhaltigen Ergebnissen? Ideal wäre eine Untersuchung von zwei möglichst gleichen Gruppen. In der einen Gruppe müssten die Probanden über eine lange Zeit Cola trinken, in der anderen nicht. Anschließend würde man das Auftreten von Depressionen in beiden Gruppen vergleichen.

Der restlichen Ungenauigkeiten des Yahoo-Berichts sind dann schon fast Kleinigkeiten.

  • „Bereits“ vier Dosen? Das „bereits“ klingt, als wäre das wenig. Für uns ist das etwa ein Liter Cola, den wir sicherlich nicht Tag für Tag in uns hineinkippen.
  • Aspartam als Auslöser? Die Wissenschaftler haben zwar gezeigt, dass Menschen, die gerne Diät-Limo trinken, ein erhöhtes Depressionsrisiko hatten. Allerdings halten sich die Experten mit Vermutungen, woran das liegen könnte, zurück. Studienautor Chen schreibt an ein Fachmagazin, dass man bisher nicht wisse, was auf biologischer Ebene abläuft.

Disclaimer: Da wir die Studie noch nicht im Internet gefunden haben, wissen auch wir nur, was in der Pressemitteilung steht.

Grafik: Softdrinks, Bild: Eva Künzel

Softdrinks: Ursache für Traurigkeit? Bild: Eva Künzel

Quellen:
Yahoo Science News Show vom 11. Januar 2013
Pressemitteilung der American Academy of Neurology vom 8. Januar 2013: „Hold the Diet Soda? Sweetened Drinks Linked to Depression, Coffee Tied to Lower Risk„.
Megan Brooks: Sweetened Drinks May Boost Depression, Coffee Reduce It, www.medscape.com (Artikel nicht immer zugänglich, wir konnten ihn aber abrufen)

Immer erreichbar, immer im Stress: Da muss man ja depressiv werden.

StimmtHaltNicht. Es klingt so einleuchtend: Wer auch nach Feierabend schaut, ob der Chef eine Mail geschrieben hat, wer sonntags an seinen Projekten sitzt – der kann irgendwann nicht mehr. Und wird depressiv.

So argumentiert auch der AOK-Bundesverband. Vor Kurzem hat die Interessenvertretung der Allgemeinen Ortskrankenkassen eine Auswertung eigener Daten vorgestellt, den „Fehlzeiten Report 2012“. Dazu gehörte auch eine ausführliche Pressemitteilung. AOK-Vorstand Uwe Dreh stellt darin fest, dass die Fehltage wegen psychischer Erkrankungen zunehmen. 2011 haben Mitarbeiter demnach an doppelt so vielen Tagen wegen psychischer Probleme gefehlt wie 1994. Einen Grund für diese Entwicklung liefert die AOK nach: „Arbeitnehmer, die ständig erreichbar sind, die immer am oberen Limit arbeiten oder lange Anfahrtswege zur Arbeit in Kauf nehmen, sind großen psychischen Belastungen ausgesetzt“, sagt Helmut Schröder, Herausgeber des Fehlzeiten-Reports. Viele Medien haben diese Vorlage aufgegriffen. Bild.de titelt „So krank macht Flexibilität„, die Rheinische Post schreibt „Pendeln und ständige Erreichbarkeit machen krank„.

Dass heute mehr Menschen wegen psychischer Probleme krankgeschrieben werden als vor einigen Jahren, bestreitet niemand. Aber ist Stress im Beruf wirklich dafür verantwortlich? Ulrich Hegerl glaubt, dass – insbesondere bei Depressionen – andere Dinge entscheidend sind. Er ist Psychiater und Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe. Er schreibt in einer Reaktion:

„Hinter der Zunahme in den Statistiken dürfte jedoch eher die sehr wünschenswerte Entwicklung stehen, dass
•    sich mehr Erkrankte professionelle Hilfe holen,
•    Ärzte Depressionen besser erkennen und behandeln, und, vermutlich am wichtigsten,
•    Depressionen auch Depressionen genannt und nicht hinter weniger negativ besetzten Ausweichdiagnosen […] versteckt werden.“

Ob veränderte Bedingungen im Job zu Depressionen führen, ist nach Hegerls Ansicht unklar. Er gibt zu bedenken, dass die Arbeitsschutzgesetze heute strenger seien als vor einigen Jahren. Zudem seien Depressionen bei Berufstätigen nicht häufiger als bei anderen Menschen – dies müsste aber so sein, wenn Arbeit der entscheidende Faktor wäre.

Wir vertrauen hier bei StimmtHaltNicht niemandem blindlings. Deshalb haben wir in Leitlinien für Fachleute und Patienten sowie in Lehrbücher geschaut. Dass die moderne Arbeitswelt für psychische Erkrankungen verantwortlich ist, steht darin aber auch nicht. Trotzdem ist es möglich, und vielleicht zeigen Studien in Zukunft auch deutliche Ursache-Wirkung-Beziehungen. Im Moment würden wir uns mit pauschalen Aussagen wie „Arbeit macht krank“ aber noch zurückhalten. Und trotzdem sonntags auch mal nichts machen.

Quellen:
AOK-Pressemitteilung vom 18. August 2012, http://www.aok-bv.de/presse/pressemitteilungen/2012/index_08759.html
Pressemitteilung der Deutschen Depressionshilfe: http://idw-online.de/de/news492260
Übersicht über Leitlinien zur unipolaren und bipolaren Depression: http://www.dgppn.de/publikationen/leitlinien/leitlinien10.html
Patientenleitlinie zur unipolaren Depression: http://www.versorgungsleitlinien.de/patienten/pdf/nvl-depression-patienten.pdf
Lehrbuch: Renneberg, Heidenreich, Noyon: Einführung klinische Psychologie

Tiere können vorhersagen, wie die Europameisterschaft ausgeht.

StimmtHaltNicht. Tiere können die Ergebnisse von Fußballspielen nicht vorhersagen. Genausowenig wie Menschen. Trotzdem sind wir uns sicher: Irgendein Elefant, Schwein oder Frettchen wird am Ende der Europameisterschaft alles richtig getippt haben.

Warum glauben wir das? Für eine Mannschaft hat die EM im besten Fall sechs Spiele, drei in der Vorrunde und dann Viertelfinale, Halbfinale und Endspiel. Die Chancen, den Ausgang aller Partien per Zufall, nun ja, korrekt vorherzusagen, sind nicht besonders hoch. Wenn aber jeder Zoo in Europa einen tierischen Experten nominiert, kann man davon ausgehen, dass einer von ihnen Recht hat. Und die Chancen, dass wir alle bis zum Ende der Europameisterschaft vergessen haben wer falsch lag, sind auch nicht schlecht. Oder kann sich noch jemand an die Konkurrenten von Krake Paul erinnern?

Um anschaulich zu machen, was wir meinen, reichen uns die drei Vorrundenspiele. Deutschland kann gegen Portugal, die Niederlande und Dänemark jeweils gewinnen, verlieren, oder unentschieden spielen. Wir gehen davon aus, dass jeder Tipp gleich wahrscheinlich ist. Insgesamt gibt es 27 Möglichkeiten, die Ergebnisse zu kombinieren (3 x 3 x 3). Eine ganz bestimmte Reihenfolge – zum Beispiel Sieg gegen Portugal, Unentschieden gegen die Niederlande und Sieg gegen Dänemark würde mit der Wahrscheinlichkeit von 1 zu 27 eintreten. Eine Reihenfolge von sechs Spielen korrekt zu raten, ist natürlich etwas schwieriger – aber nicht unmöglich.

Quellen:
Google-Suche nach „EM-Orakel

Hunde und Herrchen sehen sich immer ähnlicher (wie süß von ihnen).

StimmtHaltNicht. Zumindest gibt es dafür keine Belege. Wissenschaftliche Arbeiten, die diese Frage untersucht haben, sind uns keine nur wenige in die Finger gekommen. Keine davon stützt die These, dass sich Hunde und ihre Besitzer in ihrem Aussehen mit der Zeit immer ähnlicher werden. Und das, obwohl es Paris Hilton und ihre Chihuahuas gibt, obwohl Rudolf Moshammer und seine Daisy auch optisch ein verdammt gutes Gespann waren.

Eine der wenigen Studien zum Thema stammt von Nicholas Christenfeld und Michael Roy. Bereits 2004 erschien die Untersuchung „Do Dogs Resemble Their Owners?“ im Fachblatt Psychological Science.

Was wurde untersucht? Christenfeld und Roy fotografierten zunächst 45 Hunde und, getrennt davon, deren Herrchen. Die Bilder wurden so gemischt, das jeweils ein Hund, sein Besitzer und ein nicht zugehöriger Hund in einer Serie waren. 28 Studenten sollten dann jeweils das passende Paar bestimmen. 16 von 25 reinrassigen Tieren konnten die Studenten korrekt zuordnen. Bei Mischlingen klappte es nicht so gut: Die Studenten lagen öfter falsch als richtig.

Wichtig für unsere Fragestellung ist aber: Machte es einen Unterschied, wie lange sich Hund und Herrchen schon kannten? Die Antwort der Studienautoren: Es machte keinen Unterschied. Vielmehr vermuten Christenfeld und Roy, dass Menschen sich offenbar lieber Tiere zulegen, die ihnen bereits ähnlich sind.

Und auch selbst wenn Christenfeld und Roy einen angleichenden Effekt zwischen Hund und Herrchen festgestellt hätten, hätte dieser wohl nicht genügt, um unsere Frage wirklich zu beantworten. Denn tatsächlich machen 45 Hunde, ihre Herrchen und die Urteile von 28 Studenten keinen beeindruckenden statistischen Effekt aus. Die Stichprobe ist dazu einfach viel zu klein. Es gibt deutlich mehr Tier-Mensch-Paare auf der Welt. (In 4,9 Millionen Haushalten leben in Deutschland Hunde. Das sagen zumindest Zahlen der Gesellschaft für Konsumforschung von 2010.) Es kann deshalb sein, dass Christenfeld und Roy mit ihrer Studie einen Zufallsbefund abgebildet haben – und die meisten anderen Hunde ihren Besitzern nicht ähnlich sehen. Bis wir eine groß angelegte, methodisch einwandfreie Studie sehen, bleibt es deshalb dabei: StimmHaltNicht.

Quellen:
Roy MM, Christenfeld NJ (2004). Do dogs resemble their owners? Psychological Science  15(5):361-3.
Payne C, Jaffe K (2005). Self seeks like: Many humans choose their dog-pets following rules used for assortative mating. Journal of Ethology 23: 15-18.
GfK Panel Services Deutschland (2010). Siegeszug der Stubentiger.

Statistik auf dem Prüfstand

StimmtHaltNicht – Das Ruhrgebiet ist das Armenhaus Deutschlands. Das impliziert der „Armutsbericht 2011“ des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. StimmtHaltNicht, sagen die drei Statistikexperten Gerd Gigerenzer, Walter Krämer und Thomas Bauer.

Die Aussage des Berichts sei irreführend. Er messe statt Armut lediglich die Einkommensungleichheit (Armutsgefährdungsquote) und lege darüber hinaus den falschen Vergleichsmaßstab (Medianeinkommen der Bundesrepublik Deutschland) an.

Aktion „Unstatistik des Monats“ gestartet

Der genaue Blick auf den „Armutsbericht 2011“ ist nur der Anfang: Mit der „Unstatistik des Monats“ wollen der Berliner Psychologe Gigerenzer, der Dortmunder Statistiker Krämer und der Essener Wirtschaftsforscher Bauer künftig jeden Monat eine Statistik und deren Interpretation genauer hinterfragen. Die Aktion soll nach eigenen Aussagen:

  • dazu beitragen, mit Daten und Fakten vernünftig umzugehen,
  • in Zahlen gefasste Abbilder der Wirklichkeit korrekt zu interpretieren und
  • eine immer komplexere Welt und Umwelt sinnvoller zu beschreiben.

Wir von StimmtHaltNicht freuen uns darüber und haben weiter ein Auge auf die Aktion.

Quellen:
Die PM zum Eintrag gibt es unter http://idw-online.de/de/news462076