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„Massive Handynutzung kann zu Hirntumoren führen“

StimmtHaltNicht – Zwei Dinge sind weit verbreitet: Mobiltelefone und die Angst vor Krebs. Finden Wissenschaftler einen Zusammenhang zwischen Handynutzung und Tumorrisiko, ist das für Journalisten fast immer ein Thema. Denn davon ist jeder Leser betroffen.

Entsprechend macht derzeit eine Studie aus Frankreich die Runde. Auf faz.net heißt es: „Massive Handynutzung kann zu Hirntumoren führen„, welt.de fragt: „Steigt das Hirntumor-Risiko durch Handystrahlung?„. Die Antwort folgt prompt: „Handys sind womöglich doch gesundheitsschädlicher als gedacht: Wer mehr als 15 Stunden pro Monat mit dem Handy telefoniert, hat ein erhöhtes Risiko, bestimmte Gehirntumore zu entwickeln.“

Doch worum geht es genau? Forscher um Gaëlle Coureau haben berechnet, welchen Einfluss die Handynutzung auf das Krebsrisiko hat. Menschen, die ihr Mobiltelefon mehr als 15 Stunden pro Monat über fünf Jahre hinweg ans Ohr halten, haben demnach ein zwei- bis dreifach höheres Risiko, einen Hirntumor zu entwickeln. Die französischen Wissenschaftler haben bösartige Gliome und (meist) gutartige Meningeome untersucht.

An dieser Studie gibt es einiges zu kritisieren – etwa, dass die Handynutzung im Nachhinein bei Krebspatienten und bei Gesunden abgefragt wurde. Dabei können leicht verzerrte Erinnerungen auftreten.

Wir haben uns aber etwas anderes gefragt: Was bedeutet denn ein zwei- bis dreifach höheres Risiko in diesem Fall? Die Antwort: Relativ wenig. Denn Hirntumore sind verhältnismäßig selten. Das Robert-Koch-Institut gibt an, dass 6920 Männer und Frauen im Jahr 2010 an Tumoren des zentralen Nervensystems erkrankten. Darin sind die bösartigen Gliome schon enthalten.

Statistisch erkrankt einer von 130 Menschen im Laufe seines Lebens an einer solchen Krebserkrankung des zentralen Nervensystems. Wenn man das also ganz grob und ohne Anspruch auf letzte Genauigkeit überschlägt – dann bedeuten diese Befunde: Von 130 Hardcore-Handynutzern erkranken 2 oder 3 im Laufe ihres Lebens an einem Hirntumor. 127 oder 128 bleiben aber trotzdem gesund.

Uns hat in der Berichterstattung eine solche Einordnung der Risiken gefehlt.

Nachtrag, 22. Mai 2014: Hanna Drimalla berichtet auf dasGehirn.info ebenfalls über Mobilfunk und Krebsrisiko. Zum ausführlichen Beitrag geht es hier.

Quellen:
www.faz.net (15. Mai 2014). Massive Handynutzung kann zu Hirntumoren führen (Link)
www.welt.de (15.Mai 2014). Steigt das Hirntumorrisiko durch Handystrahlung? (Link)
Robert-Koch-Institut/Gesellschaft der epidemiologischen Krebsregister in Deutschland (2013). Krebs in Deutschland 2009/2010, Seiten 104-107 (PDF)

„Bei ihm wirkt es, dann hilft es auch mir.“

StimmHaltNicht – Journalisten setzen gerne auf die erzählerische Kraft einer Geschichte. Das ist bei Medizinthemen nicht anders. Die Darstellung eines Einzelfalls wirkt nachvollziehbarer als abstrakte Informationen zu einer Therapie oder einem Risikofaktor.

Warum dieses Vorgehen oft nicht alles erklärt, hat der Mediendoktor in seinem aktuellen Blogeintrag Medizinjournalismus: Die trügerische Kraft des Einzelfalls sehr schön gezeigt. Unvollständig bleibt das Bild demnach immer, wenn außer der Fallgeschichte keine weitere Einordnung stattfindet. Anders gesagt: „[…] In der Darstellung medizinischer Therapien, Verfahren oder Medikamenten gibt es immer dann ein Problem, wenn ein solcher Einzelfall alleine (oder zwei oder drei) als Beleg für die Wirksamkeit der medizinischen Intervention genutzt wird. Ganz nach dem Motto: Seht her, dieser Person hat’s geholfen, also hilft es auch allen anderen.“

Was ist der Ausweg? Beim Mediendoktor heißt es: „Ein ernsthafter Journalist müsste eigentlich jedes Mal fragen, wenn jemand einen erfolgreichen Fall als Beleg für die Wirksamkeit (s)eines Verfahrens schildert: Und bei wie vielen hat es nicht funktioniert?“

Zum Weiterlesen
www.medien-doktor.de: Medizinjournalismus: Die trügerische Kraft des Einzelfalls